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Willensfreiheit, Hirnforschung, Schuldstrafrecht

 
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jurico
FDR-Moderator


Anmeldungsdatum: 03.08.2005
Beiträge: 6123
Wohnort: Chemnitz

BeitragVerfasst am: 05.02.06, 20:24    Titel: Willensfreiheit, Hirnforschung, Schuldstrafrecht Antworten mit Zitat

In den Feuilletons überregionaler Tageszeitungen, im Fernsehen und in Fachzeitschriften wurde und wird über folgende gegensätzliche Thesen debattiert (vereinfacht):

a) Der Mensch ist frei in seinen Entscheidungen ("Indeterminismus"),

b) Der Mensch ist unfrei ("determiniert") in seinen Entscheidungen ("Determinismus").


Einige Hirnforscher versuchen in den letzten Jahren verstärkt, rechtliche - insbesondere strafrechtliche - "Gedankengebäude" einzureißen.

Welche Konsequenzen hat die "Determinismus-Debatte" für des Recht, insbesondere für das (Schuld-)Strafrecht? Ist das Schuldprinzip obsolet?


Wie sind die Meinungen hier im Forum?



Literaturhinweise (nur beispielhaft):
http://de.wikipedia.org/wiki/Willensfreiheit
http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/archiv/05-02/index.php3?seite=6
Hillenkamp, Strafrecht ohne Willensfreiheit? Eine Antwort auf die Hirnforschung, in: JZ 2005, 313
Kriele, Hirnforschung und Rechtsreform, in: ZRP 2005, 185
Lorenz, Hirnforschung und Rechtsreform, in: ZRP 2006, 27
Schiemann, Kann es einen freien Willen geben? - Risiken und Nebenwirkungen der Hirnforschung für das deutsche Strafrecht, in: NJW 2004, 2056
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 07.02.06, 23:17    Titel: Antworten mit Zitat

Nö, jurico. Nicht schon wieder.

Weil, in der Philosophie ist das so ziemlich ausdiskutiert.

hM ist, ob Determinismus oder Indeterminismus, auf das Strafrecht hätte das überhaupt keinen Einfluss, weil eben auch die gesellschaftlichen Reaktionen auf Straftaten determiniert wären.

Also keine Sorge: die Juristen brauchen durch diese Diskussion nicht noch mehr Schwierigkeiten zu befürchten, ihre Nahrung zu erwerben.
_________________
Grüße,
Abrazo
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jurico
FDR-Moderator


Anmeldungsdatum: 03.08.2005
Beiträge: 6123
Wohnort: Chemnitz

BeitragVerfasst am: 09.02.06, 00:46    Titel: Antworten mit Zitat

Abrazo hat folgendes geschrieben::
in der Philosophie ist das so ziemlich ausdiskutiert.

So laßt denn auch die jungen die alten Fragen stellen. Winken

Aber kaum einem Juristen gelingt der (vollkommene) Blick über den (juristischen) Tellerrand. Als Jurist hat man eben in der Regel, ach!, nicht zugleich Philosophie studieret. Deshalb finde ich es trotzdem wichtig, über solche Fragen zu diskutieren. Man kann sich ja als Jurist durchaus von einer - aus juristischer Sicht - "Hilfsdisziplin" (jetzt zettle ich hoffentlich keinen Streit der Fakultäten an) belehren lassen und deren Gedanken in das eigene (juristische) Denken einbauen.

In diesem Falle etwa: Laßt die Hirnforscher schwätzen; unsere Willensfreiheit, an die wir glauben (wissen kann man das nicht), machen sie uns nicht kaputt. Die Hirnforscher sind im Zweifel auch keine Philosophen.

Abrazo hat folgendes geschrieben::
hM ist, ob Determinismus oder Indeterminismus, auf das Strafrecht hätte das überhaupt keinen Einfluss, weil eben auch die gesellschaftlichen Reaktionen auf Straftaten determiniert wären.

Leuchtet mir ein. Habe ich bisher auch noch nicht als Argument gehört. Was sagt die Gegenauffassung?

Und läßt sich damit auch erklären, daß einige Straftaten geahndet werden (weil aufgeklärt), andere nicht (weil nicht aufgeklärt)? Kann auch die Nicht-Aufklärung einer Straftat determiniert sein?


PS: In der Determinismus-Debatte scheint es mir, daß oft aneinander vorbeigeredet wird, weil auf verschiedenen Ebenen diskutiert wird und die gleichen Begriffe in unterschiedlicher Bedeutung gebraucht werden. Nicht gerade durchsichtig ...
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Wintermute*
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Anmeldungsdatum: 27.10.2005
Beiträge: 910

BeitragVerfasst am: 09.02.06, 18:23    Titel: Antworten mit Zitat

jurico hat folgendes geschrieben::


Abrazo hat folgendes geschrieben::
hM ist, ob Determinismus oder Indeterminismus, auf das Strafrecht hätte das überhaupt keinen Einfluss, weil eben auch die gesellschaftlichen Reaktionen auf Straftaten determiniert wären.

Leuchtet mir ein. Habe ich bisher auch noch nicht als Argument gehört.


Stimmt ja auch nicht.

Tatsächlich hätte es durchaus gravierende Auswirkungen, da man dann von Strafrecht komplett auf Maßregelrecht umstellen müsste. Statt Strafen kämen also nur noch Maßregeln der Besserung und Sicherung in Betracht. So, wie das jetzt eben auch schon der Fall ist, wenn die Schuld ausgeschlossen ist.
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jurico
FDR-Moderator


Anmeldungsdatum: 03.08.2005
Beiträge: 6123
Wohnort: Chemnitz

BeitragVerfasst am: 09.02.06, 18:42    Titel: Antworten mit Zitat

Wintermute* hat folgendes geschrieben::
Stimmt ja auch nicht.

Da bin ich mir nicht (mehr) so sicher. Wie ich Abrazo verstehe, soll das bedeuten:

Prämisse: Alles ist determiniert (vorbestimmt).

Wenn der Straftäter determiniert ist, dann kann er gegen die Begehung der Straftat nichts tun. Er begeht die Straftat, weil er sie (kraft Determination) begehen muß.

Das heißt aber zugleich: Die "Strafe", die der Straftäter dann erhält, ist auch determiniert. Das heißt, die Strafe berücksichtigt nicht die Schuld des Täters, sondern sie wird einfach so verhangen, weil sie (kraft Determination) verhangen werden muß.

Wenn man dem Determinismus folgt, dann ist die Strafe, die wir als Schuldstrafe bezeichnen, einfach nur ein notwendiges Übel.

Auch die Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie alle sonstigen Reaktionen der Gesellschaft auf die Straftat (Haß, Verachtung, Mitgefühl, ...) sind in diesem Fall determiniert.
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Wintermute*
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Anmeldungsdatum: 27.10.2005
Beiträge: 910

BeitragVerfasst am: 09.02.06, 19:04    Titel: Antworten mit Zitat

Na, das hätte dann aber nichts mehr mit dem Determinismus zu tun, den die Hirnforscher gerade im Visier haben. Das wäre dann schon eher eine Vorstellung von Schicksal und Vorherbestimmung, die ich eher in den religiösen, abergläubischen Bereich einordnen würde.

Das wäre dann aber nichts, worüber man sich aus Sicht des Strafrechts ernsthaft Gedanken machen müsste. Winken
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 09.02.06, 21:32    Titel: Antworten mit Zitat

Genau so ist es, Jurico.

Über Gegenargumente der Hirnforscher ist mir bis jetzt nichts bekannt geworden.
Nicht übersehen - weil aufschlussreich - sollte man dabei, dass der in Deutschland bekannteste Hirnforscher Singer Berater des Papstes ist. Da eröffnen sich nämlich ganz andere Dimensionen.

Der - hab den Namen vergessen - älteste der bekannten Hirnforscher in den USA (der aufgrund von feineren Experimenten von seiner These inzwischen wieder abgerückt ist) stützte seine Überlegungen auf ein Experiment während der Operation eines Epileptikers. Er reizte im Gehirn den Nerv zum Heben des Armes. Als er daraufhin den unter örtlicher Betäubung stehenden Patienten fragte, warum er seinen Arm gehoben habe, antwortete er, weil er es wollte. Feinere Experimente bewiesen, dass wir unwillkürliche Reize zu willkürlichen uminterpretieren.

Dafür gibt es aber auch andere Erklärungen, nämlich die, dass sich bei jedem von uns von Geburt an ein Weltbild gebildet hat, in das Wahrnehmungen logisch eingeordnet werden. Wenn in diesem Weltbild die Möglichkeit, einer könnte die Hebung des Armes von außen veranlasst haben, nicht besteht, dann wird eine im Weltbild vorhandene Möglichkeit als Ursache bestimmt. Alte Sache, kommt auch bei Zeugenvernehmungen regelmäßig als Quelle unbewusst falscher Aussagen vor.

Imho wesentliches Gegenargument sind die Entscheidungsmöglichkeiten, die Mensch hat. Ein determiniertes Handeln würde voraussetzen, dass solche Entscheidungsmöglichkeiten, Alternativen nicht bestehen. Tatsächlich basiert das Strafrecht auf der Annahme, dass Entscheidungsmöglichkeiten bestehen. Wir verurteilen einen Diebstahl nur deswegen, weil wir davon ausgehen, dass ein Dieb auch die Alternative gehabt hat, nicht zu stehlen (wenn es für ihn diese Alternative nicht gegeben haben sollte, wäre er nicht schuldfähig). Wobei dieses alternative Wählen ein komplizierter Prozess ist. Denn letztlich wählt man, ob man seinen biologischen Steuerungsmechanismen, genannt Gefühlen folgt oder seinem Verstand, dessen Vorhandensein die Fähigkeit zur Reflexion voraus setzt. Diese Fähigkeit hat der Mensch. Beweis: die Sprache.

Ein Mensch kann genau so wütend werden wie ein Tier. Er ist ja auch genau so ein Lebewesen. Im Gegensatz zum Tier kann der Mensch dies aber feststellen und sagen: ich bin wütend. Das Tier kann das nicht sagen, kann darüber nicht reflektieren, kann nur nach seinem biologischen Impuls handeln. Dadurch, dass der Mensch aber darüber reflektieren kann, kann er auch nach der Ursache fragen und auch über aus der Wut erwachsende Handlungsimpulse reflektieren. Er kann sagen: jetzt möchte ich A am liebsten an die Gurgel springen. Weil er das aber sagen (=reflektieren) kann, hat er auch die Möglichkeit, genau das nicht zu tun - und zwischen diesen beiden Alternativen kann er entscheiden.

Nun sagen die Hirnforscher: diese Entscheidung ist bereits determiniert. Sie übersehen dabei imho allerdings, wieso Mensch überhaupt diese Entscheidungsmöglichkeiten hat. Und wenn man das übersieht, wird der Determinismus zum Glaubensdogma.

Im islamischen Mittelalter übrigens diskutierte man, wenn Gott alles vorher bestimmt hat, dann hat er auch vorherbestimmt, dass einer ein Mörder ist. Wenn das der Fall ist, hat Mensch überhaupt keine Chance, irgend etwas zu tun, um ein gottgewolltes Leben zu führen, was für den Islam, ebenso wie für das Judentum, wesentlich ist, denn beide gehen im Gegensatz zum Christentum davon aus, dass es Rechtfertigung vor Gott nur durch die Taten gibt, nicht durch den Glauben, wie insbesondere das evangelische Christentum (und die Evangelikalen - siehe George Bush; wenn er sich versündigt hat, dann war der Teufel oder menschliche angeborene Sündhaftigkeit schuld; macht aber nix, da er glaubt und Jesus am Kreuz für diese Sünden gestorben ist, ist er vor Gott trotzdem gerechtfertigt). Das würde dann bedeuten, so die islamischen Indeterministen, dass Gott ungerecht ist, lügt und den Menschen verarscht; auch Offenbarungen wären völlig unnötig. Das konnten auch die eher konservativen Deterministen nicht akzeptieren. Sie retteten sich mit dem Satz "bi-la kayf", ohne wie, das heißt, man nimmt das, was im Koran steht, gläubig an und fragt nicht nach dem wie und warum. Leider hat sich nach dem kulturellen Niedergang als Folge des Mongolensturms diese Ansicht zumindest im sunnitischen Bereich weitgehend durchgesetzt.
_________________
Grüße,
Abrazo
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