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Verfasst am: 26.03.06, 14:34 Titel: Recht, Moral und Ethik
Recht, Moral und Ethik
An anderer Stelle wurde unter anderem die Frage des Verhältnisses von Recht und Moral (bzw. Sitten) aufgeworfen. Dies möchte ich gern ein wenig vertiefen. Zu diesem Zweck habe ich mir ein Büchlein herausgegriffen (Pawlowski; siehe unten), das sich gut verständlich mit dieser Problematik befaßt. Daraus möchte ich einige Thesen zur Diskussion stellen.
Pawlowski meint, wir lebten „heute nicht mehr in einer allgemeinen, von allen anerkannten Ordnung ... Wir sprechen bei unserem System von Pluralismus.“ Die pluralistische „Gesellschafts- und Lebensordnung“ gehe „nicht mehr von einer vorgegebenen Ordnung“ aus, „in der sich das Recht als ein Ausschnitt aus einem (überkommenen) ... System von Normen und Überzeugungen darstellt (von Recht, Moral und Sitte), von dem her es dann im Bedarfsfall auch ergänzt werden kann.“ Der pluralistisch-freiheitliche Staat gehe „vielmehr von der Vorstellung einer aufgegebenen Ordnung aus.“ Dies schließe es aus, „unser Recht und unsere Gesetze im Bedarfsfall mit der Hilfe eines Rückgriffs auf die überkommenen (christlichen) Normen und Werte zu ergänzen“ (Pawlowski, Rn. 7).
Beispielsweise das BGB und auch das Grundgesetz seien „zu einer Zeit erlassen worden, in der sich diese Gesetze noch als ein Ausschnitt aus einem zusammenhängenden Komplex von Normen und Überzeugungen darstellten ... Dieser überkommene gemeinsame christliche Hintergrund ist heute verschwunden" (Pawlowski, Rn. 8f.).
„Es gibt außer dem Recht keinen allgemein verbindlichen Zusammenhang mehr, auf den wir zurückgreifen können, um rechtliche Aussagen auf ihre Qualität hin zu überprüfen“ (Pawlowski, Rn. 9a). Man brauche „einen allgemeinverbindlichen (und d. h. einen rechtlichen) Maßstab, der von der jeweiligen ‚öffentlichen Meinung’ unabhängig ist“ (Pawlowski, Rn. 9c).
Hierüber müsse man sich klar sein, „weil man sonst immer wieder der Gefahr erliegt, das allgemeine, für alle geltende Recht von der eigenen Moral her zu bestimmen." Aufgehoben sei heute jedoch „nur der direkte (unvermittelte) Zusammenhang“ von Recht und Moral. „Ethik und Moral“ ermöglichten auch heute noch „eine Rechtfertigung des Rechts“ (Pawlowski, Rn. 20).
Wie stehen die Meinungen hierzu im Forum?
Pawlowski, Hans-Martin: Einführung in die Juristische Methodenlehre, Ein Studienbuch zu den Grundlagenfächern Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie, 2. Aufl. 2000
Da dieser Pawlowski mir nicht bekannt ist, hier mal eine Vorabfrage:
Wie steht es denn um die Anerkennung seiner Theorien in der Rechtsprechung? Sind bereits Urteilsbegründungen zu finden, die sich auf Pawlowski stützen? _________________ Auszug aus dem FDR-Knigge:
Bleiben Sie so höflich, wie Sie selbst behandelt werden wollen.
Rechnen Sie immer damit, dass Ihr Gegenüber Sie missverstanden haben könnte...
Jo, hat Abrazo auch schon gesagt (wahrscheinlich nur mal wieder zu gründlich und kompliziert )
Bemerkenswert und erfreulich (für mich), dass einer, der sich mit Rechtsphilosophie befasst, den Unterschied zwischen Moral und Ethik macht. Macht noch lange nicht jeder.
Kritik möchte ich aber an der christliich-moralischen Basis von GG und BGB üben, und zwar unter zwei Aspekten:
a) Gesetzsammlungen sind kein zusammenhängender Text, sondern Paragrafensammlungen, thematisch zwar bisschen geordnet, aber dennoch abgeschlossene kurze Texte zu einem idealen Sachverhalt (ideal = einfach und unkompliziert). Den Zusammenhang, den Kontext, in dem sie stehen, muss man sich dazu denken. Er bestimmt, was wie gewichtet, wie interpretiert und ggf in welche Richtung geändert wird. Da dieser Kontext heute weitgehend nicht mehr christlich-moralisch ist, ist es das Recht als Summe der Sammlungen auch nicht.
b) Dass das Grundgesetz oder gar die Menschenrechtsdeklaration auf christlichen Werten beruht, ist alte christliche Propaganda. Jahrhundertelang war von christlichen Menschenrechten nicht viel zu spüren. Da gab es andere Kulturen, die da viel fortschrittlicher waren. Das, was man heute christliche Werte nennt, ist tatsächlich mit der bürgerlichen Revolution und der Säkularisierung entstanden, also mit dem Sturz des alten christlichen Wertegebäudes. Und auch zu den Müttern und Vätern des Grundgesetzes gehörten meines Wissens welche, die von Marx mehr hielten als von Paulus (wer wissen will, was christliche Werte sind, sollte seine Briefe mal wieder lesen). Schließlich werden die Menschenrechte auch von gänzlich unchristlichen Menschen und Kulturen anerkannt - wäre wohl schlecht möglich, wenn es nicht auch ihre Werte wären. Man sollte hier nicht auf Bush und Huntingdon ihr evangelikales Gesülze reinfallen und im Namen des christlichen Friedens den Clash of Civilizations beschwören (dessen neueste Front ja zwischen den puritanischen USA und dem katholischen Mexiko liegt ). _________________ Grüße,
Abrazo
Vermutlich haben wir wohl alle Abrazos Theorien falsch verstanden aufgrund der teilweise äußerst..... ungewöhnlichen Zusammenstellung und Interpretationsdarlegungen
Wenn ich mir die zitierten Theorien so ansehe, entsprechen diese eher den Ansichten von jurico, Max und mir. _________________ Auszug aus dem FDR-Knigge:
Bleiben Sie so höflich, wie Sie selbst behandelt werden wollen.
Rechnen Sie immer damit, dass Ihr Gegenüber Sie missverstanden haben könnte...
Ich hab´ ja schon selbst gesucht, aber nur Aussagen gefunden, die den Thesen hier eher widersprechen.
Genau deswegen habe ich dieses Faß hier aufgemacht.
Abrazo (im OWi-Thread) hat folgendes geschrieben::
Sittengesetz heißt, eine Gesellschaft hat das Recht, mehrheitlich zu bestimmen, nach welchen geschriebenen und ungeschriebenen Spielregeln sie leben will, vorausgesetzt, diese widersprechen nicht höherrangigen Rechtsgütern.
Würde ich also ganz pragmatisch so auslegen: was die Allgemeinheit, ohne dass ein Gesetz verletzt wird (statt dessen eine Sitte), dermaßen stört, dass sie darob die Neigung erfasst, zur Selbsthilfe zu greifen, ist, wenn es nichts anderes ist, eine grob ungehörige Handlung gem. § 118 OWiG.
Ich verstehe darunter: Schutz der Allgemeinheit vor Belästigungen durch Personen, die grob ungehörig die allgemeinen Verkehrssitten verletzen.
Nach dem ungeschriebenen Sittengesetz unserer Gesellschaft ist so etwas grob ungehörig, basta.
Ich hab in meinem Bücherregal noch einen alten Jarass/Pieroth-GG-Kommentar von 1997 gefunden (wer hat einen neueren zur Hand?).
Zum "Sittengesetz" - dieser berüchtigten Schranke in Art. 2 Abs. 1 GG - steht darin folgendes (Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 16):
Ohne praktische Bedeutung sei - neben den Rechten anderer - auch die dritte Schranke der Handlungsfreiheit, das Sittengesetz. Es dürfe im Sinne der "'allgemein anerkannten Wertvorstellungen unserer Rechtsgemeinschaft' zu verstehen sein (BVerfGE 6, 389/435). Bei dem heutigen Grad der Durchnormiertheit aller Lebensbereiche und im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes ... wird man außerdem verlangen müssen, daß die Wertvorstellungen in einer Rechtsnorm ihren Niederschlag gefunden haben ..., mit der Folge, daß das Sittengesetz iSd Abs. 1 in der verfassungsmäßigen Ordnung aufgeht."
Übrigens:
BVerfG 6, 389 (aus dem Jahr 1957) hat folgendes geschrieben::
Gleichgeschlechtliche Betätigung verstößt eindeutig gegen das Sittengesetz.
Aber - zumindest heute - nicht gegen das Recht. Andere Zeiten, andere Sitten.
Ich selbst habe die Weisheit noch nicht gelöffelt, aber das, was Pawlowski schreibt, entspricht grundsätzlich meinem Verständnis vom Verhältnis von Recht, Moral und Ethik.
Zuletzt bearbeitet von jurico am 27.03.06, 00:33, insgesamt 1-mal bearbeitet
Vielleicht nun eine pauschale Aussage,die vielleicht viele vor mir gebracht haben.
Wieso heisst das Forum hier überhaupt "Deutsches Recht"??
Versteh ich nicht so ganz,Recht ist ja ein Begriff der schwer zu definieren ist,geht glaub ich garnicht.
Vielleicht sollte man es in "Deutsches Gesetz o. Andwendung der Deutschen Verfassung umbennen"
Weil ich empfinde vieles Recht hier als Unrecht,da Recht ja vom Individuum abhängt,also der Sichtweise,den Emotionen etc. Recht ist also vielleicht, etwas was die Emotionen eines jeden einzelnen zufriedenstellt. Jeder sieht sich vielleicht dann im Recht wenn sein Gehirn Hormone ausschüttet die Zufriedenheit deuten.
Zu sagen, das ist recht, das ist nicht recht, ist urteilen. Urteilen tut man über einen Sachverhalt. Dieser Sachverhalt wird beschrieben. Das sind zwei verschiedene Sprachebenen, die nicht miteinander vermengt werden dürfen. Wenn einer sagt "ich empfinde das als Unrecht", dann beurteilt er nicht, ob dieser Sachverhalt recht oder nicht recht ist, sondern er beschreibt etwas, nämlich seine Empfindung. Womit schon mal klar sein dürfte, dass solche Beschreibungen im Recht nichts zu suchen haben. Andere Baustelle.
Ist dies klar, ist auch der Unterschied zwischen Recht und Sitte klar. Sitten gehören nämlich zur Ebene der Beschreibung. Das ist so. Das tut man so. Die Frage, ob das recht oder nicht recht ist, stellt sich zunächst einmal gar nicht. "Wir machen das so, weil uns das so gefällt. Man kann das auch anders machen, aber uns passt es nun mal so." Über die Sitte als beschriebenem Sachverhalt kann man natürlich dann wieder urteilen. Die Sitte selbst aber ist eine Lebensform.
Ein urteilendes System muss von Axiomen ausgehen. Axiome sind natürlich auch keine Urteile, sondern Aussagen, von denen behauptet wird, sie seien evident, also für jedermann einsichtig, dem stimmt jeder zu (man kann natürlich auch nicht-evidente Axiome nehmen, wird allerdings schwierig, damit zu überzeugen).
Unser Axiom ist "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Damit bekommt ein Rechtsurteil einen objektiven Maßstab; es dürfen nämlich in der Begründung keine Widersprüche zum Axiom auftreten. Sonst ist es nicht ungerecht oder unsittlich oder unmoralisch oder was auch immer, sondern schlicht und einfach falsch.
Wobei zu sagen ist: im Zivilrecht kommen da ne Menge Komplikationen hinzu; das hat nämlich noch ein weiteres Axiom, problematisiert in Shakespeares Kaufmann von Venedig: pacta sunt servanda. Und dieses Axiom ist nicht evident. _________________ Grüße,
Abrazo
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