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Anmeldungsdatum: 29.01.2006 Beiträge: 8913 Wohnort: Berlin
Verfasst am: 08.06.06, 04:10 Titel:
Vormundschaftsrichter hat folgendes geschrieben::
Wie ist denn Ihre eigene, aus Ihren - hoffentlich - zahlreichen Prozessen gewonnene Meinung hierzu? Fühlen Sie sich wirklich vor Gericht in Gottes Hand? Gibt es wirklich so viele unfähige Richter, die würfeln?
Lieber Vormundschaftsrichter, das ist ein weites Feld. Es gibt eben immer "so ne und solche". Grundsätzlich und vorweggestellt: Die Qualität der Rechtsprechung in Deutschland steht m. E. grundsätzlich auf einem hohen Niveau. Und doch hat der Satz "Vor Gericht und auf hoher See..." in bestimmten Zusammenhängen doch seine Berechtigung.
Das liegt in meinen Augen im wesentlichen an mehreren Gesichtspunkten, die zum Teil kumulativ, zum Teil alternativ auftreten:
Wir haben kein "Case Law", so daß derselbe Sachverhalt von unterschiedlichen Gerichten ganz unterschiedlich beurteilt werden kann (ein Beispiel: mit Pressesachen geht man - dank des fliegenden Gerichtsstandes - tunlichst nach Hamburg, wenn man einen Anspruch durchsetzen will. Anderes Beispiel: mit Wettbewerbssachen, die sich um Verstösse gegen § 6 TDG drehen, geht man zur Anspruchsdurchsetzung in Berlin tunlichst zur Kammer für Handelssachen, die setzen die Erheblichkeitsschwelle niedriger an als die ZK 15 und 16). Ein in meinen Augen gewichtiges Argument, warum der einzelne sich durchaus "ausgeliefert" fühlen kann, wenn er beispielsweise ein Urteil des LG Amberg in Händen hält, das genau entgegengesetzt dem LG Hamburg urteilt, auf das sich derjenige verlassen hat...
Amtsrichter sind mit "exotischen" Sachverhalten, und damit meine ich z. B. solche Sachverhalte, die das Recht der neuen Medien (Internet, ebooks) betreffen, oft überfordert, was IMHO allerdings weniger an ihrer Unfähigkeit, sondern an ihrer Überlastung als Eingangsinstanz und daraus resultierender mangelnder Zeit für Fortbildung liegt.
Weiter kommen regionale Besonderheiten hinzu. So erzählt man sich unter - durchaus respektablen - Kollegen beispielsweise, daß es sich in aller Regel lohnt, gegen Urteile des LG Wuppertal in die Berufung zum OLG Düsseldorf zu gehen, weil das LG Wuppertal eine "sehr eigene" Rechtsauffassung vertrete. Hinsichtlich der Prozeßleitung kann ich das bestätigen: ich hatte bisher drei Fälle vor dem LG Wuppertal, die alle nicht sonderlich kompliziert waren. In allen drei Fällen hatte ich nach dem Haupttermin jeweils mindestens zwei Fortsetzungstermine (in einem Fall habe ich gerade den vierten (!) Fortsetzungstermin...).
Zur Qualität der Rechtsprechung in Berlin kann ich sagen: man kennt seine Richter, bei denen man häufiger ist oder über die man hört. Es gibt den einen oder anderen Amtsrichter oder die eine oder andere Kammer beim LG, da weiß man schon vorher, daß eine Berufung angestrebt werden sollte.
Ich bekenne auch ganz offen: ich bin lieber beim Landgericht, und wenn ich - was allerdings selten vorkommt - die Wahl habe, ob ich zum LG oder zum AG gehe (beispielsweise kommt das bei selbständigen Beweisverfahren öfter vor, es kommt eben nur auf die Höhe der Schadensschätzung an... ), gehe ich lieber zum LG - und das weniger wegen der mit dem Streitwert wachsenden Gebühren, sondern weil die Qualität der Rechtsprechung bei komplexen Sachverhalten da IMHO einfach höher ist...
Sie sehen, lieber Vormundschaftsrichter, ich bin da durchaus ein bißchen zwiespältig. Manchmal trifft der Satz "Vor Gericht und auf hoher See..." eben zu, genauso wie der Satz mit dem Auswürfeln von Urteilen (da fällt mir ein Richter am AG Neukölln ein, den ich ein paarmal hatte. Nach dem dritten Prozess bei diesem Richter hatte ich in einem vierten den Beklagten zu vertreten und konnte ihm schon vorher sagen: wir gewinnen auf jeden Fall. Nicht nur wegen der guten Argumente: mir war aufgefallen, daß der Richter grundsätzlich gegen die Klägerpartei eingestelt war. Auch eine Art "Rechtssicherheit" - wenn auch zweifelhafter Natur... ).
Letztlich bin ich froh, daß es bei einer Beschwer über 600,00 € (noch) die Berufung gibt. So lassen sich einzelne "Ausreißer" - die es gibt, das dürfte von niemandem bestritten werden - noch korrigieren. Wenn allerdings zukünftig eine Zulassungsberufung eingeführt werden oder die Berufungssumme nach oben gesetzt werden sollte, hielte ich das für grundfalsch. Ich meine, daß die Gerichte mit den Verspätungsregeln und der Möglichkeit der Zurückweisung einer offenkundig aussichtslosen Berufung im Beschlußweg schon heute genügend Möglichkeiten haben, Prozesse zu lenken und die Rechtsfindung zu beschleunigen. Da sehe ich die Gefahr einer "Überbeschleunigung" und des Absinkens der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit...
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