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Anmeldungsdatum: 10.03.2006 Beiträge: 335 Wohnort: Berlin
Verfasst am: 22.12.07, 13:12 Titel: Ist die lebenslange Freiheitsstrafe noch zeitgemäß?
Heute morgen hörte ich im Radio von einem Raubmord eines 22-Jährigen an einem 20-Jährigen in Berlin-Reinickendorf, was mich zu folgenden Überlegungen (die mit dem eigentlich Fall nur noch entfernt zu tun haben) inspirierte:
Die "lebenslange Freiheitsstrafe" bedeutet i. d. R. 15 Jahre Haft. Ein 22-jähriger Mörder kann also (am Maßstab der gängigen Praxis vereinfacht formuliert) mit 37 Jahren raus - den Fall einer möglichen besonderen Schwere der Schuld mal außen vor - und kann theoretisch mit 38 Jahren Vater werden (wenn er es nicht schon vor der Haft war, was mit 22 ja nicht unbedingt unüblich wäre), 88 Jahre alt werden und 50 Jahre seinen Kindern beim Großwerden zusehen.
Hinweis: Ich habe das bewusst ein wenig provokant und u. U. sogar etwas populistisch dargestellt. Ich hätte es auch anders schreiben können, hatte aber gerade Lust, es so zu formulieren.
Diese "Chance auf ein Leben nach dem Knast" hat das BVerfG ja sogar aus dem GG hergeleitet und als zwingende Voraussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe definiert (hab die Daten gerade nicht zur Hand, Anruf des BGH beim BVerfG in den 70ern, Quelle: nur meine Erinnerung, das Urteil ist ja aber fast jedem geläufig). Jeder solle eine reelle Chance haben, noch mal am Leben teilnehmen zu dürfen etc. pp.
Diese Idee finde ich sogar gut. Nur frage ich mich, ob das Gleichgewicht noch stimmt (siehe Beispiel oben). Ist die lebenslange Freiheitsstrafe, wie sie heute praktiziert wird, noch zeitgemäß? (Die Frage stellt bereits die Überschrift.) Der 22-jährige Mörder verbringt ja nicht etwa seinen Lebensabend in Freiheit (was ich ausdrücklich gutheißen würde). Nein, er bekommt das, was dem Getöteten nicht zuteil wurde: Er kann den Großteil seines Lebens wirklich "leben". 15 Jahre Bau, 50 Jahre Freiheit. Ich wage nicht, das in Prozent auszurechnen. Auf jeden Fall ist der Mörder in der besseren Position, im Vergleich zum Getöteten - um mal wieder einen Hauch von Populismus in die Formulierung zu bringen.
Für mich ergibt sich folgendes Problem: Angenommen die Eltern des Getöteten sind 20 Jahre älter als ihr Kind. Sofern keiner der Betroffenen umzieht, werden diese nach 15 Jahren für etwa weitere 30 Jahre am "gleichen Leben" teilnehmen wie der Mörder ihres Kindes, die gleichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, vielleicht den gleichen Weihnachtsmarkt besuchen... Jetzt gilt es, zwei Positionen zum Ausgleich zu bringen: Laut BVerfG gebietet es der Schutz der Würde des Menschen, diesen nicht "wirklich" lebenslang einzusperren. Nun finde ich aber eine zu frühe Entlassung unter dem Gesichtspunkt der Würde der Angehörigen des Getöteten auch nicht gerade besonders fortschritlich...
Außerdem leben die Menschen immer länger. Also tötet man durchschnittlich auch mehr potenzielle Lebenszeit. Ich wäre daher dafür, die Obergrenzen an das Renteneintrittsalter zu koppeln. Alle sollen zwei Jahre länger arbeiten -> dann soll die zeitige Freiheitsstrafe auch bis zu 17 Jahre betragen dürfen, die lebenslange FHS ebenfalls erst nach 17 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden, im Falle der besonderen Schwere der Schuld erst nach 22 Jahren... Bei den Straftaten, die sich sowieso schon vom bisherigen Strafrahmen nicht im 15-Jahre-Bereich liegen, bliebe alles wie es ist.
Ich weise letztmalig darauf hin, dass einige Formulierungen bewusst provokant gewählt sind. Einige aus der "Resozialisierung-um-jeden-Preis-Fraktion" (ich befürworte auch die Resozialierung, aber eben nicht um jeden Preis, z. B. nicht um den Preis, dass man die Interessen der Hinterbleibenen in einem Wahn völliger Konzentration auf den Täter übergeht) wollen ja immer sofort empört "Unsinn!" rufen. Ganz ehrlich, mich würden aber Meinungen aller Art zu diesem Thema sehr interessieren... Also hoffe ich mal, dass es Meinungen zu diesem Thema gibt.
Lebenslänglich bedeutet meines Wissens nach in Deutschland durchschnittlich 18 Jahre.
Ein von mir sehr geschätztes FDR-Mitglied hat zu diesem Thema folgendes geschrieben:
Zitat:
Dass eine Strafe von der Allgemeinheit sowieso nie als gerechter und angemessener Schuldausgleich gesehen wird, sieht man ja übrigens auch schon daran, wie lässig diese 15-25 Jahre Knast gesehen werden. Als wäre das irgendeine Lappalie, die man mal eben schnell auf einer Backe absitzen könnte!
Können Sie sich denn überhaupt vorstellen, wie unendlich lang 15 Jahre im Gefängnis sind? Wie lang schon 1 Jahr ist?
Also, ich bekomme regelmäßig schon Beklemmungen, wenn ich nur für ein paar Stunden zum Mandantenbesuch im Knast bin. Wenn ich wieder draußen bin, schnapp ich erst mal 10 Minuten lang richtig Luft.
Ich weiß genau, dass ich nach ein paar Wochen Gefängnis vollkommen durchdrehen würde.
Ich glaube auch nicht, dass man das gleiche Leben führt wie vorher wenn man nach 15 oder 18 Jahren aus der Kiste kommt.
Ich hatte da vorgestern eine Diskusion mit einem Kollegen drüber. Der ist der Meinung, dass falsch ist Kapitalverbrecher (Mörder, Vergewaltiger) einfach in den Knast zu stecken und dreimal am Tag zu füttern (so hat er das ausgedrüclt) ohne, dass sie etwas dafür tun.
Er ist aber auch ein Befürworter der Todsstrafe (in zweifelsfreien Fällen).
Er sagte auch, dass sich um die Täter mehr gekümmert wid als um die Opfer. Z.B. würde der Weiße Ring über private Spenden finanziert. Die Therapien für Triebtäter würden von Steuergeldern finanziert. Stimmt das ??
Ich persönlich halte unser Rechtssystem für ausreichend (es gibt ja auch Sicherrungsverwahrung) und bin gegen die Todesstrafe.
Verfasst am: 03.01.08, 00:26 Titel: Re: Ist die lebenslange Freiheitsstrafe noch zeitgemäß?
Nicko hat folgendes geschrieben::
Sofern keiner der Betroffenen umzieht,
Schon diese Annahme halte ich für gewagt. Würde jemand wirklich freiwillig in eine Umgebung zurückkehren, wo jeder mit dem Finger auf einen deutet: "Ist das nicht der, der XY ermordet hat?"
Zitat:
Nun finde ich aber eine zu frühe Entlassung unter dem Gesichtspunkt der Würde der Angehörigen des Getöteten auch nicht gerade besonders fortschritlich...
Darin kann ich keinen Angriff auf die "Würde" erkennen. Unser Rechtssystem ist gerade nicht von Rachegedanken und Lynchjustiz geprägt, und das ist gut so. Es gibt sogar das radikale Gegenteil: Den Mördern vergeben.
Zitat:
die Interessen der Hinterbleibenen
sind meiner Meinung nach irrelevant. Tot ist tot, ganz egal, ob Krankheit, Unfall, fahrlässige Tötung oder brutaler Mord. Das Strafmaß darf sich nicht an primitiven Ideen wie "Rache" und "Vergeltung" orientieren. _________________ mitternächtliche Grüße.
Gott weiß alles - Lehrer wissen alles besser.
Bin kein Jurist: Wer mir glaubt, ist selber schuld.
Meine Damen und Herren, heute Abend sinkt für Sie: das Niveau!
Verfasst am: 03.01.08, 10:00 Titel: Re: Ist die lebenslange Freiheitsstrafe noch zeitgemäß?
Ivanhoe hat folgendes geschrieben::
Wow, das ist eine gewagte These. Würdest Du auch so urteilen, wenn DU einer der Hinterbliebenen wärst?
Und genau das ist völlig irrelevant für die Frage der staatlichen Bestrafung.
Denn wenn du so argumentierst, dann sind wir ganz schnell in dem Bereich, in dem Ehrenmorde gerechtfertigt werden. Denn diese Menschen berufen sich ja genau auf ihre Ehre und Gefühle und sind der Meinung, die Bestrafung selbst in die Hand nehmen zu müssen.
Ivanhoe hat folgendes geschrieben::
"Rache" und "Vergeltung" dürfen natürlich keine Rolle beim Strafmaß spielen. Aber GERECHTIGKEIT sehr wohl
Das ist richtig. Aber wann ist Gerechtigkeit bei der Bestrafung für einen Straftäter erreicht? Wenn der Straftäter es als gerecht empfindet? Wenn der Geschädigte/ die Hinterbliebenen es als gerecht empfinden? Wann sonst?
Ich weiß es nicht.
Anmeldungsdatum: 31.10.2005 Beiträge: 8443 Wohnort: Am Meer
Verfasst am: 03.01.08, 11:01 Titel: Re: Ist die lebenslange Freiheitsstrafe noch zeitgemäß?
Nicko hat folgendes geschrieben::
Nur frage ich mich, ob das Gleichgewicht noch stimmt (siehe Beispiel oben). Ist die lebenslange Freiheitsstrafe, wie sie heute praktiziert wird, noch zeitgemäß? (Die Frage stellt bereits die Überschrift.) Der 22-jährige Mörder verbringt ja nicht etwa seinen Lebensabend in Freiheit (was ich ausdrücklich gutheißen würde). Nein, er bekommt das, was dem Getöteten nicht zuteil wurde: Er kann den Großteil seines Lebens wirklich "leben". 15 Jahre Bau, 50 Jahre Freiheit. Ich wage nicht, das in Prozent auszurechnen. Auf jeden Fall ist der Mörder in der besseren Position, im Vergleich zum Getöteten - um mal wieder einen Hauch von Populismus in die Formulierung zu bringen.
Der Tötende ist immer in der besseren Position im Vergleich zum Getöteten.
Folgende Beispiele:
1. Der 22jährige Täter T bringt seine Freundin F um, um eine Straftat zu verdecken.
Ergebnis: Lebenslange Freiheitsstrafe mit den hier besprochenen Möglicheiten der vorzeitigen Entlassung.
2. Der T bringt die F wiederum um, allerdings weil er sehr eifersüchtig ist und F auf der Straße - nach der Meinung des T - einen fremden Mann angelächtelt hat. So erschlägt er sie kurzerhand.
Ergebnis: Verurteilung wegen Totschlages zu neun Jahren.
3. Der T betrinkt sich, steigt in sein Auto und auf dem Nachhauseweg erwischt er gerade die F, die völlig ordnungsgemäß eine Straße überquert und fährt sie tot.
Ergebnis: Ein Jahr auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung.
Nicko hat folgendes geschrieben::
Für mich ergibt sich folgendes Problem: Angenommen die Eltern des Getöteten sind 20 Jahre älter als ihr Kind. Sofern keiner der Betroffenen umzieht, werden diese nach 15 Jahren für etwa weitere 30 Jahre am "gleichen Leben" teilnehmen wie der Mörder ihres Kindes, die gleichen öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, vielleicht den gleichen Weihnachtsmarkt besuchen... Jetzt gilt es, zwei Positionen zum Ausgleich zu bringen: Laut BVerfG gebietet es der Schutz der Würde des Menschen, diesen nicht "wirklich" lebenslang einzusperren. Nun finde ich aber eine zu frühe Entlassung unter dem Gesichtspunkt der Würde der Angehörigen des Getöteten auch nicht gerade besonders fortschritlich....
Und ist es fortschrittlich, daß man den Eltern der F den Anblick des Trunkenheitsfahrers schon bis und auch gleich nach der Verhandlung zumutet? Und die einzige für sie sichtbare Änderung ist, daß er eine Zeitlang kein Kraftfahrzeug führen darf?
Vor allem, da es viel mehr Eltern gibt, deren Kind fahrlässig getötet als ermordet wurde.
2006 gab es in Deutschland lt. Statistik des BKA 375 Mordopfer, aber 1650 Totschlagsofer. Demgegenüber gab es alleine in Berlin 2005 68 Straftaten der fahrlässigen Tötung.
Nicko hat folgendes geschrieben::
Hinweis: Ich habe das bewusst ein wenig provokant und u. U. sogar etwas populistisch dargestellt. Ich hätte es auch anders schreiben können, hatte aber gerade Lust, es so zu formulieren.
Tja, und das brauchte ich noch nicht einmal zu machen, denn auch in Europa gibt es den Grundsatz, daß eine Strafe sich an der Schwere der strafwürdigen Tat bemessen muß und eine fahrlässige Tötung geringer als ein Totschlag und dieser geringer als ein Mord zu bestrafen ist, so erst seit den von Kant und Hegel begündeten Straftheorien.
War das ein Fortschritt? _________________ Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. (Goethe, Maximen und Reflexionen).
無爲 / 无为
Mir ist doch klar, dass du nicht darau hinaus wolltest.
Aber mit deiner Aussage bezüglich der Gefühle, die man als Hinterbliebener hegt, kommt man sehr schnell genau in diesen Bereich.
Natürlich möchten die meisten Hinterbliebenen, dass ein Täter eine hohe Strafe erhält. Und in den meisten Fällen wünschen die Hinterbliebenen dem Täter wahrscheinlich noch das gleiche Leid, welches ihnen und ihrem Angehörigen wiederfahren ist.
Und genau da frag ich mich, ob das tatsächlich gerecht ist. Oder muss der Staat hier vielleicht nüchterner und überlegter handeln, als es von den emotional geleiteten Hinterbliebenen gefordert ist.
Ivanhoe hat folgendes geschrieben::
Ich persönlich halte eine lebenslängliche Freiheitsstrafe bei Mord für gerecht. Allerdings lebenslänglich auch als lebenslange Freiheitsstrafe ohne Chance auf eine vorzeitige Entlassung.
Und genau das weiß ich eben nicht.
In 18 Jahren kann man sich durchaus zu einem komplett anderen Menschen entwickeln.
Und muss dieser dann immer noch dafür bestraft werden, dass er vor 18 Jahren einen Fehler gemacht hat. (zweifelsfrei handelt es sich dabei um einen riesigen Fehler)?
Aber wie ich oben schon gesagt habe, ich kenne keine Lösung auf diese Fragen.
Die gehen mir einfach durch den Kopf wenn ich mich mit diesem Thema beschäftige und ich finde es sehr schwierig bei diesem Thema "Gerechtigkeit" zu definieren.
Denn Gerechtigkeit ist für mich ein Gefühl und Gefühle haben in einem Strafmaß nur bedingt was zu suchen.
Anmeldungsdatum: 31.10.2005 Beiträge: 8443 Wohnort: Am Meer
Verfasst am: 03.01.08, 11:54 Titel:
Ivanhoe hat folgendes geschrieben::
Für Gerechtigkeit gibt es eben keine Definition.
Es gibt durchaus für Gerechtigkeit Definitionen --> www.lexexakt.de/glossar/gerechtigkeit.php _________________ Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. (Goethe, Maximen und Reflexionen).
無爲 / 无为
Ich persönlich könnte Mir den Schritt vorstellen den bislang sehr wenig Ländern gegangen sind (Norwegen bsp.bei 21 Jahren) der in der Abschaffung liegt und den Ersatz durch eine hohe aber zeitlich befristete Haftstrafe bei der auch variiert werden kann bei Geständnissen und zwischen weniger Brutalen Ausführungen.
Zwischen 15 - 20 eracht Ich als vollkommen ausreichend, bin ja nicht die Bildzeitung
Wer als soweit zurechnungsfähig gilt das Er oder Sie in einer normalen JVA untergebracht ist der ist auch an Tag X Spättestens wieder zu entlassen da der Sinn in einer Strafe auch
da drin liegt das man raus lernt und es besser macht.
"Lebenslänglich" verhindert nur eine Auseinandersetzung, ist Willkürlich und führt oft noch zur Eskalation wenn das Urteil eh immer Willkürlich bei 15 + x bleibt.
Feindstrafenrecht muss ja wirklich nicht sein letztendlich.
Weitere logische Entwicklung währe natürlich auch das wir ebenso wie bei der Todesstrafe nicht mehr in Länder ausliefern bei drohendem "Lebenslänglich" aber Gut im der zeitigen Rechtsruck und Abbau des Rechtstaats überall ist sowas natürlich nur eine Kontroverse.
Weitere logische Entwicklung währe natürlich auch das wir ebenso wie bei der Todesstrafe nicht mehr in Länder ausliefern bei drohendem "Lebenslänglich" aber Gut im der zeitigen Rechtsruck und Abbau des Rechtstaats überall ist sowas natürlich nur eine Kontroverse.
Ich dachte Deutschland liefert überhaupt nicht aus. Egal ob Todesstrafe oder Haftstrafe.
Hab ich nicht letztens noch irgendsowas gehört?
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