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ich habe eine Frage. Grundsätzlich gibt es die Annahme, dass das Europarecht und Entscheidungen des EuGH über nationalen Recht stehen (politisch hinsichtlich der Zielsetzung der EU auch zwingend). Doch wie verhält es sich genau mit dem Verfassungsrecht in Deutschland? Ich ging davon aus, dass das Grundgesetz gemeinhin Vorrang vor dem Europarecht besitzt, da Völkervertragsrecht niemals Verfassungsrecht einschränken darf. Doch als der EuGH 2000 festgestellt hat, dass die Regelung im Grundgesetz bezüglich des Verbots für Frauen den Beruf eines Soldaten auszuüben, nicht mit den europäischen Richtlinien vereinbar ist, "musste" der Bundestag das Grundgesetz im Art. 12 a ändern, sodass auch Frauen am Wehrdienst teilnehmen dürfen.
Bedeutet dies, dass Europarecht nicht nur höher als einfach nationale Gesetze ist, sondern sogar Verfassungsrecht bricht? Wenn ja, grundsätzlich, oder nur in bestimmten Fällen?
Vielen Dank für Ihre Antworten schon mal im Voraus!
Mit freundlichen Grüßen Marius Piwonka _________________ Freiheit ist immer die Freiheit des anders Denkenden
Anmeldungsdatum: 25.09.2004 Beiträge: 15339 Wohnort: Rom
Verfasst am: 24.02.07, 18:12 Titel:
Man muß hier unterscheiden:
Europäisches Recht und EuGH-Rechtsprechung bindet die nationalen Gerichte nicht unmittelbar. Insbesondere bindet es nicht das BVerfG. Ebensowenig bindet es den Souverän (Legislative).
Auf EU-Ebene sind lediglich Sanktionen für Mitgliedsstaaten vorgesehen, die EU-Recht nicht in nationales Recht umsetzen oder die durch EuGH-Entscheidungen entstandenen Verpflichtungen nicht erfüllen.
In Ihrem Beispiel kann niemand den Bundestag "zwingen", die Verfassung zu ändern. Bei einer Weigerung hätten "nur" Strafgelder gedroht, es gab aber keine unmittelbare rechtliche Verpflichtung zu einer Verfassungsänderung.
Im Gegenteil müßte das BVerfG die Umsetzung von die Verfassung verletzenden EU-Richtlinien oder EuGH-Urteilen sogar zurückweisen. Das wäre für nationale Gerichte bindend (auch wenn die BRD als Staat deswegen möglicherweise Strafgelder zahlen muß).
Mein Lieblingsbeispiel:
A verklagt den B auf 1000 EUR und gewinnt durch alle Instanzen. B scheitert auch vor dem BVerfG mit einer Verfassungsbeschwerde. B muß A die 1000 EUR zahlen.
Jetzt geht B vor den EuGH und obsiegt dort. Nun kann aber niemand den A zwingen, die 1000 EUR zurückzuzahlen. Lediglich die BRD ist verpflichtet, dem B den durch Verletzung von EU-Recht enstandenen Schaden zu ersetzen, mithin ihm die 1000 EUR (plus Gerichtskosten) zu erstatten. Aber weder die EU noch der EuGH noch der Bundestag können den A dazu zwingen, das Geld zurückzuzahlen - das widerspräche der Gewaltentrennung, da sonst die Legislative eine rechtskräftige Entscheidung der Judikative annullieren könnte - geht nicht.
Und wenn die EU eine neue Richtlinie beschließt, die in nationales Recht umgesetzt werden muß, sich aber als verfassungswidrig herausstellt - dann hat die Politik den schwarzen Peter. Sie darf das Gesetz nicht erlassen (da sonst Verfassungsbruch vorläge), müßte aber - wenn eine Verfassungsänderung praktisch oder rechtlich nicht möglich ist - wegen ihrer Verpflichtungen der EU gegenüber entsprechend zur Kasse treten.
Dummes Beispiel: morgen beschließt die EU "Religionsfreiheit ist abgeschafft". Da die entsprechenden Teile des GG nicht änderbar sind, müßte die BRD nun fleißig Strafzahlungen an die EU leisten, weil es diese Richtlinie nicht in ein nationales Gesetz umsetzen kann, die Religionsfreiheit bliebe aber bestehen.
Kein Recht der Welt bricht Verfassungsrecht. _________________ DefPimp: Mein Gott
Biber: Nö, war nur M.A.S. Aber hier im Forum ist das schon ziemlich dicht dran.
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Bedeutet dies, dass Europarecht nicht nur höher als einfach nationale Gesetze ist, sondern sogar Verfassungsrecht bricht? Wenn ja, grundsätzlich, oder nur in bestimmten Fällen?
Europäisches Recht und EuGH-Rechtsprechung bindet die nationalen Gerichte nicht unmittelbar. Insbesondere bindet es nicht das BVerfG. Ebensowenig bindet es den Souverän (Legislative).
In Art. 249 EG steht zur Verbindlichkeit der Richtlinie und der Verordnung aber etwas anderes.
Man beachte auch Art. 234 EG.
Michael A. Schaffrath hat folgendes geschrieben::
Im Gegenteil müßte das BVerfG die Umsetzung von die Verfassung verletzenden EU-Richtlinien oder EuGH-Urteilen sogar zurückweisen.
Das BVerfG wird das wohl nicht mehr tun; entsprechende Normenkontrollanträge wären grundsätzlich unzulässig, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Solange_II .
Europäisches Recht und EuGH-Rechtsprechung bindet die nationalen Gerichte nicht unmittelbar. Insbesondere bindet es nicht das BVerfG. Ebensowenig bindet es den Souverän (Legislative).
In Art. 249 EG steht zur Verbindlichkeit der Richtlinie und der Verordnung aber etwas anderes.
Vielleicht hätte ich noch präziser formulieren sollen:
Die Bindung der Legislative ist nicht unmittelbar, sondern lediglich mittelbar über den EG-Vertrag. D.h. die Legislative kann entscheiden, einer EU-Richtlinie nicht zu folgen. Sie müßte dann zwar die Konsequenzen für einen Vertragsbruch tragen, aber es ist eben nicht so, daß der Spielraum Null ist (wie er das im innerstaatlichen Rechtsverkehr ist).
Bzgl. Solange II ist das ähnlich. Daß der BVerfG entschieden hat, diesbezüglich derzeit keine Verfassungsbeschwerden anzunehmen, bedeutet nicht, daß er dazu nicht in freier Entscheidung weiterhin berechtigt ist. _________________ DefPimp: Mein Gott
Biber: Nö, war nur M.A.S. Aber hier im Forum ist das schon ziemlich dicht dran.
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