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Spezifikationsverletzung der Verfassung - was tun?

 
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carn
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Anmeldungsdatum: 15.02.2006
Beiträge: 2872

BeitragVerfasst am: 14.07.08, 13:53    Titel: Spezifikationsverletzung der Verfassung - was tun? Antworten mit Zitat

Programme werden im allgemeinen fuer einen bestimmten Zweck geschrieben, der in der Spezifikation angegeben ist.
Jetzt ist es lange bekanntes Fakt beim Programmieren, dass egal wie sauber die Spezifikation ist und egal wie sauber man programmiert, es kann gelegentlich dazu kommen, dass ein Programm in einer voellig unerwuenschten Weise reagiert.
Dies kommt umso haeufiger vor, je komplexer das Programm und je vielfaeltiger und komplexer der moegliche Programminput ist(das ist die freundliche Umschreibung, dass es extrem schwierig ist Programme DAU sicher zu machen - der duemmste anzunehmende User wird immer eine moeglichkeit finden das ganze zum Absturz zu bringen).
Sieht man bei [Wortsperre: Produktname] und daran, dass die verschiedenen auf Linux basierenden Betriebssyteme je mehr sie versuchen wie [Wortsperre: Produktname] zu sein diesem in Fehleranaelligkeit auch mehr und mehr gleichen.


Jetzt ist abstrakt betrachtet das gesamte Gesetzes und Vorschriftenwerk unseres Staates auch eine Art Programm, auf einen entsprechenden Input soll ein entsprechender Output generiert werden - z.b. "Input" A ermordet B, C ermordet B nicht ->"gewuenschter Output" A in den Knast und B nicht in den Knast.

Da es mit so vielen verschiedenen Inputs den richtigen Output liefern soll und nebenbei die "Befehle" von subjektiv handelden Menschen ausgefuehrt werden, ist es natuerlich entsprechend komplex und entsprechend fehleranfaellig.
Bei Einzelfaellen kann hierbei die Individualitaet der Ausfuehrenden sogar hilfreich sein(z.b. ein Richter erkennt das ein Gesetz in diesem Fall voellig Quark ist und ignoriert es einfach). Wird bei einer ganzen Klasse von Inputs ein Problem festgestellt, braucht es natuerlich ein Update(z.b. Jugendstrafen bringen nichts gegen die Kriminalitaet, also gibt es neue Gesetze die den Richtern wirksamere Alternativen zur Verfuegung stellen).

Ein Teil unserer Verfassung ist aber besonders, da es sozusagen Hardware ist, und nicht veraendert werden darf. Damit bleibt dort nur die Moeglichkeit, in Einzelfaellen unerwuenschte Konsequenzen zu verhindern, z.b. entfuehrtes Flugzeug mit Atombombe an Bord ist auf den Weg nach Berlin, der Abschuss ist eigentlich nicht zulaessig, da ja Unschuldige an Bord sind und ihr Leben nicht gegen das der Berliner abgewogen werden darf, aber der Verteidigungsminister kann immer noch(natuerlich unter der Gefahr nachher im Knast zu landen) entscheiden, dass es nicht Zweck unseres Grundgesetzes ist, dass ein Wahnsinniger in Ruhe nach Berlin fliegen kann um die Stadt auszuloeschen und dementsprechend einen Abschuss befehlen(den der Pilot natuerlich nur befolgt, wenn er die Einschaetzung des Ministers teilt).
Nachher muesste man aber nichts an GG1 aendern, sondern koennte vielmehr bei den Gesetzen des Staates eine Aenderung machen, die es von vorneherein irgendwelchen Irren erschwert sich Atombomben zu beschaffen und so die Gefahr grundsaetzlich bekaempfen ohne mit der Verfassung in Konflikt zu kommen.

Aber was ist wenn die unabaenderliche Teil unserer Verfassung bei einer Klasse von wiederkehrende Problemen ein dem Zweck der Verfassung widersprechndes Ergebnis haben?
Gerade weil die Verfassung etwas so komplexes wie das Leben von Millionen Menschen eigentlich ueber Jahrhunderte ohne grundsaetzliche Fehler zu produzieren regeln will, erscheint es mir nicht als ausgeschlossen, dass das Programm irgendwann einen fundamentalen Absturz produziert - den so etwas ist beim Programmieren von Computern schlicht unmoeglich, bei unserem Staat kann man eigentlich nur beten, dass es klappt.

Um ein Beispiel zu nennen, GG1 verpflichtet den Staat zum Schutz der Menschenwuerde aller.
Was aber wenn eines Tages festgestellt wird, dass relative Armut wuerdeverletzend ist(dann wuerden 13% der Bevolkerung in ihrer Wuerde verletzt werden und es gibt Leute die relative Armut als wuerdeverletzung ansehen), gleichzeitig aber festgestellt wird, dass die Beseitigung der relativen Armut, zwangslaeufig zum wirtschaftlichen Zusammenbruch(einige Wirtschaftswissenschaftler vermuten das das so ist. Desweiteren liefert die Geschichte des Kommunismus einige Indizien dafuer.)?
(Bitte mal annehmen, dass relative Armut objektiv wuerdeverletzend waere und das genauso objektiv ihre effektive Bekaempfung zu absoluter Armut fuehren wuerde, ich habe dieses Beispiel nur gewaehlt, weil es nicht voellig unplausibel ist)
Wie wuerde man es loesen?

Weder das eine noch das andere ist nach GG als Dauerzustand zulaessig(deswegen hilft eine individuelle Gewissensentscheidung wie bei der fliegenden A-Bombe nicht weiter), aber man darf GG1 auch nicht zur Aufloesung des Dilemmas umschreiben.

Einzig koennte man die Wuerdedefinition wieder umschreiben, um so den Widerspruch zu umgehen, aber da wuerde man sich die Sache zu recht luegen.
Oder man koennte sich hinstellen und ehrlich sagen, dass man den totalen Systemcrash hat und deswegen einen Neustart(aka neugruendung der BRD mit einer dieses Problem vermeidenden Verfassung) machen muss.

Oder gibt es auch irgendeine die Verfassung beibehaltende und nicht die Wahrheit zu recht luegende Loesung?
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die_renate
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Anmeldungsdatum: 06.12.2006
Beiträge: 118
Wohnort: Hessen

BeitragVerfasst am: 14.07.08, 22:36    Titel: Antworten mit Zitat

Den fiktiven Annahmen folgend bleibt nur die Abwägung zweier unzulässiger Zustände, hin zu einem unter diesen Umständen bestmöglich erreichbaren, am verfassungskonformsten einzuschätzenden Ergebnis (das natürlich eine Kollabierung des Systems ausschließt).

Oben schreibst Du, das GG sei sozusagen Hardware. Also muß in so einem fiktiven Fall vielleicht die Hardware gedrosselt werden (weniger Gigahertz Prozessortakt), gleichbedeutend mit einer dann weniger leistungsfähigen (= weniger streng zu nehmenden) Verfassung.

Der nicht erfüllbare Verfassungsteil wird damit aber zur Zielmarke.
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Liebe Grüße! die_renate
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 14.07.08, 23:41    Titel: Antworten mit Zitat

Man lasse sich von einem Carn nicht ins Bockshorn jagen.
Seine Methode ist die aller Ideologen (und sie ist verwandt mit der von Zauberkünstlern und Spritisten, also Täuschung): er stellt angebliche Probleme vor, die völlig kontextfrei über der Realität schweben, mit der sie gar nichts mehr zu tun haben, und während man sich damit beschäftigt, achtet man nicht auf das, was wirklich real wichtig ist.

Gegen diese Methode gibt es einen 'Zauberspruch', nämlich die Frage: "ist das überhaupt möglich?"

Ist es überhaupt möglich, die "Hardware" Grundgesetz zu ändern? (2/3-Mehrheit, Art. 1 überhaupt nicht - mit dem Risiko eines Bürgerkrieges, wenn einer das doch will - wg Widerstandsrecht).

Ist es überhaupt möglich, dass einer eine Atombombe in eine Passagiermaschine schleppt und dann dem nächstgelegenen Tower erklärt: "So, damit fliege ich jetzt nach Berlin und lass die da fallen"? Mr. Green

Was würde einem Richter passieren, der nach Schema entscheidet wie ein Computer?

Alles Quatsch, ne?
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Grüße,
Abrazo
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carn
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Anmeldungsdatum: 15.02.2006
Beiträge: 2872

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 08:52    Titel: Antworten mit Zitat

@die renate

Danke fuer die Antwort, man versucht also soweit es geht alles zu erfuellen und da wo es nicht geht akzeptiert man die geringere GG Verletzung eben mit schlechtem Gewissen als Dauerzustand und gruebelt, ob es nicht doch eine Loesung gibt.

(Lustigerweise heisst das, dass wenn relative Armut tatsaechlich wuerdeverletzend ist, die SPD als einzige Partei einigermassen verfassungskonforme Ziele hat.)


@Abrazo

Was reden sie eigentlich fuer einen Quatsch?
die renate hat bewiesen, dass man meine Frage beantworten kann, ohne mir gleich sonstwas zu unterstellen.

Und das mit der Atombombe mag sehr fiktiv sein, aber das ein Widerspruch zwischen Verringerung von relativer Armut und einer allgemein ausreichend starken Wirtschaft existiert ist allgemeiner Konsens unter allen Politikern und Experten(ausser "die Linke"), theoretisch war an meinem Beispiel nur, dass dieser nachgewiesenermassen so stark ist, dass eine ernsthafte Verringerung der relativen Armut zum wirtschaftlichen Zusammenbruch fuehrt.
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 11:33    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage nach der relativen Armut ist in erster Linie eine Frage nach der Verteilung gesellschaftlicher Macht.
Wenn die in Richtung einer wohlhabenden Oligarchie verteilit ist, so ist das verfassungswidrig und gefährdet den inneren Frieden.
Gestatte, dass ich nicht auf jeden Unfug antworte.
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Grüße,
Abrazo
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carn
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Anmeldungsdatum: 15.02.2006
Beiträge: 2872

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 12:02    Titel: Antworten mit Zitat

Abrazo hat folgendes geschrieben::
Die Frage nach der relativen Armut ist in erster Linie eine Frage nach der Verteilung gesellschaftlicher Macht.
Wenn die in Richtung einer wohlhabenden Oligarchie verteilit ist, so ist das verfassungswidrig und gefährdet den inneren Frieden.
Gestatte, dass ich nicht auf jeden Unfug antworte.


Es ist ihnen ebenfalls gestattet statt Fragen zu beantworten alle moeglichen Unterstellungen ueber Demagogie und Hintergedanken zu machen.
Es ist ihnen ebenfalls gestattet nicht verstehen zu koennen und es ist ihnen gestattet dass zu verbergen.

Es ist ihnen auch gestattet, Fragen zu stellen, um die Position des anderen zu verstehen, und sie duerfen sogar unzweideutige Aussagen machen, damit der andere ihre Position verstehen kann.

Das kann z.b. so gehen:

Meines Wissens nach ist es bisher nicht gelungen zu beweisen, dass eine Beseitigung der relativen Armut zwangslaeufig zu absoluter Armut fuehrt.
Meines Wissens ist es bisher auch nicht gelungen zu beweisen, dass eine Beseitigung der relativen Armut moeglich ist, ohne dass es zu absoluter Armut kommt.
Meines Wissens verschaffen die bisherigen historischen Erfahrungen keine Klarheit darueber welches von beidem zutreffend ist.
Meines Wissens ergibt sich aber aus den histroischen Erfahrungen, dass ein Beseitigen der relativen Armut ohne Erzeugung von absoluter Armut bestenfalls schwierig ist.

Haben sie einen Standpunkt dazu, den sie auch aeussern wollen?
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 14:50    Titel: Antworten mit Zitat

Meines Wissens pfeift das Volk auf derlei Überlegungen - siehe französische Revolution.
Eine Gesellschaft geht dann vor die Hunde - und mit ihr ihre Wirtschaft - wenn der innere soziale Frieden aufgekündigt wird. Den zu bewahren hat oberste Priorität. Und wenn die Wirtschaft ächzt, weil sie die vielen Armen mittragen muss, dann ist das immer noch besser, als wenn die ihr die Fabriken und Maschinen in der Wut kaputt schlagen.
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carn
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Anmeldungsdatum: 15.02.2006
Beiträge: 2872

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 16:39    Titel: Antworten mit Zitat

Abrazo hat folgendes geschrieben::
Meines Wissens pfeift das Volk auf derlei Überlegungen - siehe französische Revolution.
Eine Gesellschaft geht dann vor die Hunde - und mit ihr ihre Wirtschaft - wenn der innere soziale Frieden aufgekündigt wird. Den zu bewahren hat oberste Priorität. Und wenn die Wirtschaft ächzt, weil sie die vielen Armen mittragen muss, dann ist das immer noch besser, als wenn die ihr die Fabriken und Maschinen in der Wut kaputt schlagen.


Keinerlei Aussage dazu, ob sie bei der Beseitigung der relativen Armut absolute Armut fuer vermeidbar halten oder nicht.

Und der soziale Friede wurde in diesem Land schon lange aufgekuendigt, es werden lediglich ausreichend Schutzgelder gezahlt.
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 17:55    Titel: Antworten mit Zitat

Was soll der Blödsinn?
Was relative Armut ist, ist von Fall zu Fall Ansichtssache.
Auf so was Variables soll ich mich einlassen?
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Grüße,
Abrazo
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carn
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Anmeldungsdatum: 15.02.2006
Beiträge: 2872

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 18:04    Titel: Antworten mit Zitat

Abrazo hat folgendes geschrieben::
Was soll der Blödsinn?
Was relative Armut ist, ist von Fall zu Fall Ansichtssache.
Auf so was Variables soll ich mich einlassen?


Es gibt eine Defintion der relativen Armut:
"So definiert die WHO die Armutsgrenze anhand des Verhältnisses des individuellen Einkommens zum „mittleren Einkommen“ im Heimatland einer Person. Danach sei arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des aus der Einkommensverteilung seines Landes berechneten Medians zur Verfügung hat. Für die OECD-Länder ist die Armutsschwelle in gleicher Weise definiert (vgl. OECD-Skala)."

Dann spricht man noch von armutsgefaehrdung bei 60% des Medians.
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die_renate
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Anmeldungsdatum: 06.12.2006
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BeitragVerfasst am: 15.07.08, 21:52    Titel: Antworten mit Zitat

carn hat folgendes geschrieben::
Danach sei arm, wer monatlich weniger als die Hälfte des aus der Einkommensverteilung seines Landes berechneten Medians zur Verfügung hat. Für die OECD-Länder ist die Armutsschwelle in gleicher Weise definiert (vgl. OECD-Skala)."

Dann spricht man noch von armutsgefaehrdung bei 60% des Medians.

Ja, seit 2001 (?) gilt in der EU derjenige als armutsgefährdet, der weniger als 60 % des mittleren Einkommens hat (= Median, ist nicht identisch mit dem des durchschnittlichen Einkommens, das läge sehr viel höher), wobei ich davon ausgehe, daß auch hier in der EU die relative Armut ziemlich deckungsgleich mit obiger Definition bestimmt ist.

Oder ist in der EU relative Armut und Armutsgefährdung ohne begrifflichen Unterschied zu sehen? Das weiß ich nicht zu sagen.

Abrazo, die Begriffsinhalte sind aber hinreichend definiert (50 % oder 60 % des Median kann ja die hier anzunehmende Bandbreite sein) und isind nicht Ansichtssache und können somit problemlos in der Diskussion mit herangezogen werden!
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Liebe Grüße! die_renate
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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 15.07.08, 22:22    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage ist, ob diese Definition sinnvoll ist; meiner Ansicht nach nicht.
Man nehme mal einen Mönch oder eine Nonne, die sich zur Armut verpflichtet hat. Die ist zweifellos relativ arm, jedoch ist das etwa ein Grund, regulierend einzugreifen?

Der Begriff "relative Armut" ist eine prima Möglichkeit, sich um die Diskussion tatsächlicher Armut herum zu mogeln. Die gibt es nämlich auch.

Tatsächlich arm ist einer, der um das Lebensnotwendige kämpfen muss ohne die Garantie zu haben, es auch zu erlangen. Tatsächlich arm ist ein Hartz IV - Empfänger, dem der Strom abgestellt wurde, weil er die Rechnung nicht bezahlen konnte. Jetzt kann einer sagen, warum war er so doof, sich das nicht besser einzuteilen; Antwort: die sind so doof. Das ist ihre Natur, die kannste nich ändern. Jedenfalls nicht von jetzt auf gleich.

Tatsächlich arm ist ein US-Bürger, der zwar so einigermaßen hinkommt mit seinem Geld, sich davon aber keine Krankenversicherung leisten kann. Der verratzt dann eben paar Jahre früher.

Tatsächlich arm sind Kinder aus den Favellas, deren Eltern keine anständige Schulbildung finanzieren können, weil sie gerade mal das notwendige Essen ranschaffen können.

Und tatsächlich arm sind selbstverständlich diejenigen, die noch nicht mal das notwendige Essen heran schaffen können.

Armut muss also erst einmal daran gemessen werden, ob einer das Lebensnotwendige erhält.

Was nützt es, einem Sudanesen aus einem Lager in Darfur, der hungert, zu sagen, du bist nur relativ arm, die absolut arm sind, sind alle schon tot?

Relative Armut hingegen ist ein politischer Zahlenwert. Ab einem gewissen Prozentsatz relativer Armut in einer Gesellschaft organisieren sich nämlich diejenigen, die von der gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt und ohne Chance auf Änderung sind, selbst, bilden einen Staat im Staat. Das führt zur Spaltung der Gesellschaft - der realen, nicht der rein zahlenmäßigen - wobei sich beide Teile feindlich gegenüber stehen und, wenn nichts dagegen unternommen wird, heißt, das ursächliche Problem der Überwindung der von der Armut geschaffenen Grenzen anzugehen, miteinander in kriegerische Auseinandersetzungen geraten.

Womit sich Carns Erwägungen erledigt haben: wer das Problem relative Armut dauerhaft ignoriert, geht irgend wann baden.
_________________
Grüße,
Abrazo
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Michael A. Schaffrath
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Anmeldungsdatum: 25.09.2004
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Wohnort: Rom

BeitragVerfasst am: 16.07.08, 16:19    Titel: Antworten mit Zitat

Abrazo hat folgendes geschrieben::
Die Frage ist, ob diese Definition sinnvoll ist; meiner Ansicht nach nicht.

[...]

Der Begriff "relative Armut" ist eine prima Möglichkeit, sich um die Diskussion tatsächlicher Armut herum zu mogeln. Die gibt es nämlich auch.

[...]

Armut muss also erst einmal daran gemessen werden, ob einer das Lebensnotwendige erhält.



Das sehe ich auch so.
Relative Armut mißt die ungleiche Verteilung von Reichtum in der Bevölkerung, nicht aber die tatsächlich objektiv vorhandene Not. Leider wird es aber in der Boulevardpresse und auf der Straße so verstanden bzw. verbreitet.
Logischerweise gibt es in jedem Staat, in dem der Reichtum nicht im wesentlichen gleich verteilt ist, relative Armut, auch wenn selbst der Ärmste noch 100,000 EUR Jahreseinkommen hätte.

Solange man das nicht durcheinander wirft, ist das OK. Sobald aber diese Diskussion zum politischen Sprengsatz gemacht wird (platt gesagt: "Jammern auf hohem Niveau"), wird es gefährlich.
Warum gibt es keinen Bürgerkrieg in den Slums von Brasilien? Warum erheben sich die Obdachlosen der USA nicht gegen den Staat?
Wenn aber eine größenordnungsmäßig relevante Masse, der man eingeredet hat, sie sei "arm" und sie habe Anspruch auf mehr, sich organisiert, dann haben die radikalen Parteien Zulauf.
_________________
DefPimp: Mein Gott
Biber: Nö, war nur M.A.S. Aber hier im Forum ist das schon ziemlich dicht dran.

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Abrazo
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Anmeldungsdatum: 30.05.2005
Beiträge: 5941
Wohnort: Köln

BeitragVerfasst am: 16.07.08, 17:58    Titel: Antworten mit Zitat

Ich kenne die gesellschaftliche Struktur von Brasilien nicht.
Was die USA betrifft, da bin ich, was die Zukunft betrifft, skeptisch. Da ist es m.E. die Frage, inwieweit sich die Armen mit der Zeit organisieren. Tatsächlich ist eine Staat-im-Staat-Bildung schon seit längerem zunehmend zu beobachten, ebenso wie eine zunehmende aggressive Abschottung der Wohlhabenderen.
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Abrazo
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