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Anmeldungsdatum: 31.10.2005 Beiträge: 8443 Wohnort: Am Meer
Verfasst am: 28.01.09, 09:08 Titel: Leere Worte
"Bundespräsident Horst Köhler konstatiert einen 'besonders bedrückenden Befund': Der jungen Generation mangelt es an Wissen über das Naziregime und den Holocaust.
Historische Bildung sei 'ein Baustein für die Humanität der Gesellschaft, in der wir morgen leben werden', sagte Horst Köhler am Dienstag beim Gedenken des Bundestages an die Opfer des Nationalsozialismus. --> www.zeit.de/news/artikel/2009/01/27/2717008.xml
Wie bedrückend.
Aber absolut nicht neu.
Bereits Mitte der 1970er hatte Dieter Boßmann deutsche Schulen gebeten, Aufsätze über das Thema: "Was ich über Adolf Hitler gehört habe" schreiben zu lassen.
Ergebnis war ein hahnebüchener Unfug.
Da fanden sich Zitate wie „Ich glaube, daß er ein guter Mensch war und daß er für das Gute gekämpft hatte. Nur, daß er ein Jude war, störte die Menschen."
Und die Zeit schrieb seinerzeit dazu: "Schwer zu sagen, worüber man entsetzter sein soll: Über die totale Konfusion in den Köpfen dieser Schüler oder über die, selbst dieses chaotische Geschichtsbild überdauernde, von den Vätern ererbte 'Treue zum Führer'". --> www.zeit.de/1977/18/Bei-Hitler-war-alles-in-Ordnung
So sehr bedrückend scheint es ja nicht zu sein, wenn auch nach Jahrzehnten dieses Wissen nicht vermittelt wurde. Bzw. die Bedrückung äußert sich in Gedenkreden, und dort ungefähr für fünf Minuten. _________________ Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. (Goethe, Maximen und Reflexionen).
無爲 / 无为
Wenn ich mich an meine eigene Schulzeit erinnere, dann habe ich das Gefühl, dass sich etwa die Hälfte des Geschichtsunterrichts mit der Zeit zwischen 33 und 45 befasste. Breiten Raum nahm das Thema aber auch im Deutschunterricht ein, wo es um seine literarische Aufarbeitung ging. Ebenso im Religionsunterricht, wo die Verfoglung der Juden im "Dritten Reich" als Unteraspekt der allgemeinen Beschäftigung mit dem jüdischen Glauben behandelt wurde.
Im Jahr der Wiedervereinigung nahm das Thema auch breiten Raum im Englischunterricht ein, weil unsere Englischlehrerin die Wiedervereinigung vor dem Hintergrund der Verbrechen der Nazidikatur für falsch hielt.
Wie sind denn insoweit die Erinnerungen der anderen User an die eigene Schulzeit? Wenn das, was ich beschreiben, die Regel und nicht die Ausnahme ist, dann frage ich mich, was man denn noch tun müsste um Schülern dieses Thema näher zu bringen.
Dummerweise werden bei solchen Befragungen wohl oft Bodensatzschüler interviewt, anders kann ich mir die teils veröffentlichten Ergebnisse nicht erklären, da ich die selbe Erfahrung wie Cicero in der Schule gemacht habe, das 20. Jh. nahm fast die Hälfte des gesamten Geschichtsunterrichtes ein. _________________ It's not about left or right, it's about right and wrong.
Wie sind denn insoweit die Erinnerungen der anderen User an die eigene Schulzeit?
Um ehrlich zu sein, dann meine ich, dass die Zeit von den Pharaonen bis zum Ende der Kreuzzüge gefühlte 80% des Geschichtsunterichts ausfüllten.
Die restlichen ca. 800 Jahre waren dann in den übrigen gefühlten 20% gepackt, so dass für die gegenständlichen 12 Jahre kaum noch Zeit blieb.
Allerdings wurde das Thema durchaus intensiv in Deutsch, Religion und anderen Fächern durchgekaut, inklusive der damals fast obligatorischen Klassenfahrt in ein ehemaliges Konzentrationslager.
Anmeldungsdatum: 09.05.2006 Beiträge: 2207 Wohnort: Berlin
Verfasst am: 28.01.09, 11:09 Titel:
Ich hätte nicht gedacht, dass das Problem in den 70ern auch schon so existierte.
Gelehrt wurde die Thematik in der Schule m.E. ausreichend, das Problem ist m.E. eher das Schüler nur noch für Klausuren lernen und sich häufig nicht tatsächlich für den Lehrstoff interessieren und daher nach der Abprüfung wieder vergessen oder verdrängen.
Ich ewrinnere mich an eine mündliche Prüfung während meines FH-Studiums im letzten Jahr, wo eine Mitstudentin nicht Exekutive und Legislative auseinanderhalten konnte oder an mein Vorstellungsgespräch noch während des letzten Schuljahres wo eine Mitkandidatin nicht wusste wer der Namensgeber Ihrer Schule eigentlich war
(Theodor-Heuss-Gymnasium).
Ich würde einfach mangelndes Interesse unterstellen. _________________ ausgezeichnet
Also ich hab es so wie Cicero wahrgenommen. Sehr großer Teil des Geschichtsunterricht wurde mit dem Thema verbracht, später dann auch in Deutsch, Englisch, Religionsunterricht, einen Exkurs in Biologie (Eugenik) und als letztes war es ein Teil der Berufskunde in meiner Ausbildung. _________________ Geist ist Geil!
Anmeldungsdatum: 10.04.2007 Beiträge: 2919 Wohnort: Stadt mit Abtei an einem Fluss
Verfasst am: 28.01.09, 11:40 Titel:
Also wenn ich so zurückdenke, wurde uns zumindest in Geschichte das Basiswissen vermittelt, was die Zeit des dritten Reichs angeht. Dafür sind teilweise viele Dinge der Zeit danach nicht berücksichtigt worden. Insgesamt wurde das Thema allerdings bis zum Erbrechen in allen möglichen anderen Fächern behandelt. Von Deutsch (Thema Rhetorik) über Religion (Judenverfolgung) bis hin zu Kunst oder Musik.
Das eigentliche Wissen, das mehr in die Tiefe geht, habe ich mir allerdings selber über die Zeit angeeignet. Insofern stimmt ich yamato zu, wenn er "einfach mangelndes Interesse" unterstellt.
Bezüglich „Ich glaube, daß er ein guter Mensch war und daß er für das Gute gekämpft hatte. (...)" musste ich nur grade mit Schmunzeln an diese typischen Aussagen denken von wegen "Immerhin haben wir dank ihm Autobahnen!". Erinnert mich leicht an "Das Leben des Brian": "Also gut. Mal abgesehen von sanitären Einrichtungen, der Medizin, dem Schulwesen, Wein, der öffentlichen Ordnung, der Bewässerung, Straßen, der Wasseraufbereitung und der allgemeinen Krankenkassen, was, frage ich euch,
haben die Römer JE für uns getan?" _________________ Ich kann länger nicht rauchen als ein Nichtraucher rauchen. Ich bin somit der mental Stärkere. (Horst Evers)
Also ich schließe mich den vorherigen Ausführungen an;
sehr intensiv in Geschichte, Deutsch, Politik und Erdkunde wurde das Thema bei uns behandelt (Religion hatte ich nicht, kann aber gut sein, dass es da auch Thema war).
Ein KZ haben wir auch besichtigt (Dachau).
Also wir wurden wirklich sehr stark sensibilisiert.
Aber im Grunde genommen ist dieses Thema (leider) wie jedes andere, da kann ich mich yamato ebenfalls anschließen, dass wenn die Schüler kein Interesse haben, es zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus geht.
Wenn also meine Wahrnehmung der Regel und nicht der Ausnahme entspricht, dann kann die Lösung nicht darin bestehen, dem Thema noch breiteren Raum im Schulunterricht einzuräumen. Dann müssen wir uns schon etwas anderes ausdenken, damit der zitierte Schüler aus dem Kopf ein paar brauchbare Fakten über die Diktatur und den Diktator benennen kann.
Anmeldungsdatum: 10.04.2007 Beiträge: 2919 Wohnort: Stadt mit Abtei an einem Fluss
Verfasst am: 28.01.09, 12:44 Titel:
Ich schrieb ja, dass in der Schule meist zumindest ein Basiswissen vermittelt wird. Was der einzelne Schüler damit anfängt und anfangen kann, steht auf einem anderen Blatt. Man denke an das Sender / Empfänger-Modell. _________________ Ich kann länger nicht rauchen als ein Nichtraucher rauchen. Ich bin somit der mental Stärkere. (Horst Evers)
inklusive der damals fast obligatorischen Klassenfahrt in ein ehemaliges Konzentrationslager.
Ach ja, das hatte ich noch vergessen. In meinem Fall Buchenwald.
Dito und das hat (bei mir) ziemlichen Eindruck hinterlassen, insbesondere das Bild der Weimarer, die von den Amerikanern unter Zwang das Lager besichtigen mussten, werde ich wohl nie vergessen. _________________ It's not about left or right, it's about right and wrong.
Anmeldungsdatum: 31.10.2005 Beiträge: 8443 Wohnort: Am Meer
Verfasst am: 29.01.09, 09:10 Titel:
yamato hat folgendes geschrieben::
Ich würde einfach mangelndes Interesse unterstellen.
Weil es uninteressant ist oder uninteressant vermittelt wird?
Nach meiner Beobachtung wird das Thema allgemein auf eine "vorgegebene" Art und Weise betrachtet. Man schickt die Schüler z.B. zur Besichtigung in ein KZ (wo ich übrigens in meiner Schulzeit nie war), weil "das mit den Juden ja ganz schlimm war", und man es daher tun sollte.
Ja, und.
Und dann lese ich, daß wegen des Gaza-Konflikts die Zunahme des Antisemitismus in der EU befürchtet wird und frage mich, was hat Gaza z.B. mit jüdischen Deutschen zu tun.
Oder sollte ich von deutschen Juden oder Juden in Deutschland schreiben?
Was sagt ihr zu den Bezeichnungen, ihr die ihr diesen Themenkomplex ja offenbar z.T. sehr intensiv in der Schule behandelt habt.
Ich hätte nicht gedacht, dass das Problem in den 70ern auch schon so existierte.
Holocaust wurde erst 1979 ausgestrahlt. Allerdings in den dritten Programmen, nicht in ARD oder ZDF.
Und obwohl die Sendung z.B. als ein " Meilenstein in der Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik" bezeichnet wurde, die „den Beginn der Bereitschaft nun auch eines Massenpublikums, sich mit der NS-Vergangenheit überhaupt auseinanderzusetzen" markiere, wurde sie erst 2005 auf arte wiederholt.
Seltsam, bei der Einschaltquote.
Cicero hat folgendes geschrieben::
Im Jahr der Wiedervereinigung nahm das Thema auch breiten Raum im Englischunterricht ein, weil unsere Englischlehrerin die Wiedervereinigung vor dem Hintergrund der Verbrechen der Nazidikatur für falsch hielt.
Ob die Verbreitung persönlicher Ansichten (die historisch völliger Blödsinn sind) der Schulbildung förderlich sind, wage ich auch zu bezweifeln. _________________ Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen. (Goethe, Maximen und Reflexionen).
無爲 / 无为
meine Gymnasialzeit begann mit der Sexta Ende der 60er Jahre, ein Großteil des Lehrerkollegiums dort gehörte der Kriegsteilnehmergeneration an.
Mein Eindruck zum Geschichtsunterricht in den Jahren als Geschichte noch durchgängig als eigenständiges Fach gelehrt wurde, war der , dass bewußt die deutsche Geschichte mit dem Ende der Weimarer Zeit aufhörte.
Als dann Mitte der siebziger Jahre Gesellschaftskunde (oder was auch immer damals so an Bezeichnungen existierte) in den Unterricht eingeführt wurde, kamen themenbezogene Epochen auf den Stundenplan. Ich habe also bis zum Abitur niemals Unterricht über die Thematik: Das Dritte Reich und die Zeit des Nationalsozialismus genossen.
Meine Kenntnis hierüber mußte ich mir in Folge dieser Gesamtumstände autodidaktisch beibringen und anlesen, wobei im Nachhinein betrachtet natürlich die Zeit der ersten sozialliberalen Regierung, die Gerüchte um Willy Brandt (wegen des Untertauchens etc) sowie der berühmte Kniefall in Warschau und meine Prägung durch Eltern und Großeltern sehr massgebend dazu beigetragen haben, dass ich mich dafür interessierte.
Das war einerseits für mich etwas ärgerlich, weil ich noch nie in einer KZ Gedenkstätte gewesen bin, und keine Bildungsreise zu diesem Thema untenehmen durfte. Ich ahbe das immer als Benachteiligung empfunden.
In der Nachschau hatte ich allerdings das Glück, meine Erfahrungen selbst machen zu können, ohne allzusehr einem standardisierten vorgefärbten Lehrplan folgen zu müssen.
Und die Buchhändler wird es auch gefreut haben, denn die Zeit zwischen 1933 und 1945 nimmt schon einen größeren Platz in meiner Sachbuchecke ein.
Zitat:
Nach meiner Beobachtung wird das Thema allgemein auf eine "vorgegebene" Art und Weise betrachtet. Man schickt die Schüler z.B. zur Besichtigung in ein KZ (wo ich übrigens in meiner Schulzeit nie war), weil "das mit den Juden ja ganz schlimm war", und man es daher tun sollte.
Genau diese standardisierte aber wenig zur Eigenreflexion animierende Methode des Herangehens an diese Zeit ist mir zum Glück erspart geblieben.
Das hat sicher eine wesentlich unverkrampftere Sicht ermöglicht.
Zitat:
frage mich, was hat Gaza z.B. mit jüdischen Deutschen zu tun.
Nichts aber auch gar nichts....
Grüße
Ronny _________________ Vielen Dank auch für die positiven Bewertungen.
zunächst einmal muss man das mangelnde Wissen in diesem Bereich im Kontext betrachten:
Wissen denn diese Schüler mehr über die deutsche Teilung, den Sozialismus oder die DDR? Nach den Untersuchungen im letzten Jahr wissen sie darüber noch viel weniger! Wissen sie etwas über die Revolution 1848 oder die Befreiungskriege? Untersuchungen kenne ich nicht, kann aber über das große Fragezeichen in allen Gesichtern meiner Gesprächspartner verweisen, wenn ich das Wort "Reichsdeputationshauptschluss" erwähne. Und was die Schüler mit den Begriffen Reformation oder 30jähriger Krieg verbinden, möchte ich eigentlich gar nicht wissen.
Langer Rede kurzer Sinn: Das die Behandlung der Zeit des Nationalsozialismus seit dem 1970er Jahren absoluter Schwerpunkt des Schulunterrichtes in verschiedenen Fächern ist (bei uns (Abi 1985) auch >50 % im Geschichtsunterricht), trägt dazu bei, dass diese Phase der Geschichte besser bekannt ist, als alle anderen.
Dann stellt sich die Frage: Wenn diese Phase die bekannteste ist und das Wissen dennoch so dürftig: Woran liegt das?
Ich habe drei Antworten:
Zum einen: Fragt die gleichen Schüler mal nach den Satz des Phytagoras, dem Geburtsjahrhunderts Goethes oder was das englische "almost" in deutsch bedeutet. Auch hier kenne ich keine Umfragen, fürchte aber das schlimmste...
Zum zweiten: Eben diese Konzentration auf die betreffenden 12 Jahre führen zu einem massiven "nicht schon wieder Nationalsozialismus!"-Effekt.
Und zum dritten: Spätestens mit Beginn der 1970er Jahre (bei uns in Hessen: Abschaffung des Faches Geschichte zu Gunsten Gesellschaftslehre) ist der Stellenwert geschichtlichen Wissens massiv gesunken.
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