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ENDSTATION STAATSEXAMEN
Down by law
Von Jörg Schallenberg
In Bayern scheitert fast jeder fünfte Kandidat am Jura-Examen: Zweimal versiebt und tschüss, aus der Traum vom Richteramt oder der eigenen Kanzlei. Ein Workshop in München richtet verzweifelte Beinahe-Juristen wieder auf.
Deshalb bietet Sybille Schwartzkopff zweimal im Jahr, jeweils kurz nach der Bekanntgabe der Examensergebnisse, den Workshop "Staatsexamen, ein Flop?" an. Wer zu ihr kommt, hat mindestens vier, vielleicht aber auch schon sieben Jahre in sein Studium investiert - um dann festzustellen, dass alles vergeblich war, zumindest im Hinblick auf das angestrebte Berufsziel.
Schwartzkopff will den Fast-Absolventen vermitteln, was es für Alternativen zur geplanten Laufbahn gibt. Kein einfacher Job, denn für die meisten Teilnehmer des Kurses bedeutet das Scheitern "eine persönliche Niederlage", weiß die Berufsberaterin. Gedanken über andere Wege hat sich angesichts des - etwa im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften - eindeutigen Berufsziels kaum jemand gemacht.
"Persönliche Niederlage"
Oliver Paulsen, 29, befindet sich da schon in einer vergleichsweise günstigen Situation. Er ist zwar auch am ersten Staatsexamen gescheitert, "aber ich arbeite schon seit einigen Jahren in einem juristischen Fachverlag in München, daran kann ich jetzt anknüpfen". Trotzdem ist er zum Workshop ins Arbeitsamt gekommen, um "zu sehen, was es noch für Möglichkeiten gibt, vielleicht ein anderes Studium, vielleicht eine Lehre". Und um sich mal mit anderen auszutauschen, denen es genau so geht wie ihm.
"Scheine in sechs Semestern gemacht": Oliver Paulsen war, wie viele hier, kein schlechter Student: "Meine Scheine habe ich in sechs Semestern gemacht." Er hat sich ein teures Repetitorium bei einem Privatlehrer geleistet, reihenweise Übungsklausuren geschrieben - aber gereicht hat es trotzdem nicht. Woran lag es?
"Acht Klausuren in zwei Wochen waren einfach zu viel", sagt Paulsen. "Man muss alles wissen, man hat keine Möglichkeit, sich auf bestimmte Bereiche zu konzentrieren und andere Themen abzulegen." Zudem sei der Schwierigkeitsgrad mancher Klausuren so hoch, "dass man auch eine Hausarbeit von sechs Wochen über den Fall schreiben könnte".
Alles Ausflüchte, könnte man meinen - wenn Paulsen oder die anderen in Zimmer 3158 Einzelfälle wären. Sie sind es keineswegs: Im Jahr 2003 fielen in Bayern 31 Prozent aller Kandidaten im ersten Anlauf durch die erste juristische Staatsprüfung, drei Jahre zuvor waren es sogar knapp 35 Prozent. Die Zahl derer, die endgültig am Staatsexamen scheitern, ist etwas schwerer herauszufinden, weil viele gar kein zweites Mal antreten.
Die Stunde der Wahrheit kommt spät
Das bayerische Landesjustizprüfungsamt hat für 2003 ermittelt, dass rund 15 Prozent aller Prüflinge ohne Abschluss bleiben. An manchen Unis schätzt man die Zahl auf bis zu 20 Prozent. Wenn aber jeder fünfte, der sich erfolgreich durch das nicht gerade einfache Studium gekämpft hat, am Ende doch auf der Strecke bleibt, scheint im Studiengang Jura einiges im Argen zu liegen. Dass die Durchfallerquoten in anderen Bundesländern niedriger liegen, macht das Problem auch nicht kleiner.
Juristen-Handwerkszeug: Nicht ohne meinen Schönfelder
"In keinem anderen Studiengang kommt die Stunde der Wahrheit so spät", kritisiert Berufsberaterin Schwartzkopff, "es gibt keine echte Prüfung während des Studiums, ob die angehenden Juristen wirklich geeignet sind für ihr Fach. Bei Informatikern und Ingenieuren fallen zwar auch viele durch - aber nach dem Vordiplom. Da ist es noch nicht so schlimm, da kann man sich noch gut umorientieren."
Das bayerische Wissenschaftsministerium verweist angesichts solcher Vorwürfe gern auf eine Zwischenprüfung nach dem vierten Semester, die 2001 eingeführt wurde. "Das ist aber nicht der große Hammer", kommentiert ein Sprecher der Jurafachschaft an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, "die Prüfung besteht lediglich in einer zusätzlichen Klausur, die man im jeweiligen Grundkurs schreiben muss." Eine ernsthafte Vorbereitung auf das, was die Studenten im Examen erwartet, findet offenbar kaum statt.
Teures Repetitorium für die Katz
Als Juraprofessoren, Anwälte und Richter vor ein paar Monaten zum Problem befragt wurden, gaben die meisten an, dass deutsche Jura-Studenten zwar enorm viel auswendig lernen, es aber an der Fähigkeit mangelt, das gepaukte Detailwissen auf konkrete Fälle anzuwenden. Das sei, so hieß es, vor allem ein Problem der universitären Ausbildung. Anders gesagt: Was und wie man an der Hochschule lernt, hilft bei der anschließenden staatlichen Prüfung nur bedingt weiter.
Die Lücke zwischen Studium und anschließender Prüfung sollen Repetitorien schließen. Nur werde einem dort zu oft das Blaue vom Himmel versprochen, sagt Oliver Paulsen: "Da erzählen sie einem, dass man an Klausuren übt, wie sie genau so im Examen drankommen - und das stimmt einfach nicht." Eine Einschätzung, die man in der Münchner Uni-Fachschaft teilt: "Man soll sich da bloß nicht von bekannten Namen blenden lassen. Die Nachhilfekurse, die an der Uni kostenfrei angeboten werden, sind oft besser."
Examensschock und Milieuangst
Oliver Paulsen und den anderen Gescheiterten helfen solche Erkenntnisse nicht mehr. Sie hören nun von der Kursleiterin, wie man die eigenen Kenntnisse bei einer Weiterbildung zum Diplom-Wirtschaftsjuristen an der FH doch noch nutzen kann, welche Stellenbörsen im Internet nützlich sind - und wie man sein nur beinahe beendetes Studium möglichst elegant im Bewerbungsschreiben unterbringt. Es ist der vierte und letzte Workshop-Termin, mittlerweile wird sogar gelacht und gescherzt.
Das war beim ersten Treffen noch anders, erinnert sich Oliver Paulsen. Die Schock über das Ende der beruflichen Träume saß tief, und noch tiefer die "Milieuangst", wie es Paulsen nennt: "Da dachtest du, du gehörst irgendwann mal zu den oberen Zehntausend. Und dann kannst du dir vielleicht nur noch eine Wohnung in so einem Problemviertel wie dem Hasenbergl leisten."
Gegen solche Ängste kämpft "Staatsexamen, ein Flop?" an. Aber schon im nächsten Semester will das Arbeitsamt den Workshop nicht mehr bezahlen. Sybille Schwartzkopff wird ihn dann wohl privat anbieten - an mangelnder Nachfrage wird er zumindest nicht scheitern.
Zu dem Thema fällt mir ein ziemlich bitterer Witz ein, den ich vor kurzem irgendwo gelesen habe: Was sagt ein arbeitsloser Jurist zu einem Juristen, der Arbeit hat? "Bitte eine Currywurst!"
Soll heißen: Selbst mit bestandenem Examen ist die Lage nicht besser, falls das Examen schlecht ausgefallen ist. Eigentlich sollte man froh sein, wenn man nicht durchs 1. Examen gekommen ist, dass man sich nun die Referendarzeit und das 2. Examen schenken kann und sich zwangsweise auf eine andere vernünftige Berufswahl verlegen muss. Ich kenne seit Jahren zugelassene Anwälte, die aber eigentlich genau genommen langzeitarbeitslos sind und die mit Mitte 30/ Anfang 40 nicht wissen, wo sie das Geld hernehmen sollen um eine Familie zu gründen, aber zu "alt" sind um beruflich umzusatteln.
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