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Parlamentarismus?

 
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gloriaD
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Anmeldungsdatum: 07.03.2005
Beiträge: 1484

BeitragVerfasst am: 16.11.05, 15:33    Titel: Parlamentarismus? Antworten mit Zitat

Kolitinsvertrag von SPD / CDU / CSU steht folgende Passage:
    II. Kooperation der Fraktionen
    Im Bundestag und in allen von ihm beschickten Gremien stimmen die Koalitionsfraktionen einheitlich ab. Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind. Wechselnde Mehrheiten sind ausgeschlossen.
    Über das Verfahren und die Arbeit im Parlament wird Einvernehmen zwischen den
    Koalitionsfraktionen hergestellt. Anträge, Gesetzesinitiativen und Anfragen auf Fraktionsebene werden gemeinsam oder, im Ausnahmefall, im gegenseitigen Einvernehmen eingebracht. Die Koalitionsfraktionen werden darüber eine Vereinbarung treffen.

Art. 38 GG sieht vor:
    (1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

Einmal abgesehen davon, dass eigentlich nicht Fraktionen, sondern Abgeordnete, also deren Mitglieder abstimmen, stellt sich die Frage, warum die dann im Parlament noch alle erscheinen sollen. Würde ja genügen, wenn die Fraktionsvorsitzenden mit Vollmacht erschienen.
Frage Soll das mit der Unabhängigkeit der Abgeordneten vereinbar sein?
Frage Und was passiert, wenn sich ein/e Abgeordnete/r nicht daran hält?
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gloriaD


Zuletzt bearbeitet von gloriaD am 16.11.05, 19:18, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Dos
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Anmeldungsdatum: 18.08.2005
Beiträge: 1520

BeitragVerfasst am: 16.11.05, 17:04    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo, gloriaD,
die Diskussion um die Berechtigung des Fraktionszwangs ist alt. Ein echter Fraktionszwang ist verfassungswidrig, Beschlüsse der Fraktionen (und der Parteien erst recht) haben daher nur den Charakter unverbindlicher Empfehlungen (BVerfGE 47, 308 <318>). Daher drohen einem Abgeordneten keine rechtlichen Nachteile, wenn er entsprechend Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nur seinem Gewissen folgt. Er wird natürlich bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt und hat als Einzelbewerber, selbst wenn er Hohmann heißt, keine Chancen. Mein Vorschlag wäre, die Wahlperiode auf 5 Jahre zu verlängern, aber dafür die Wiederwahl zu beschränken - entweder gar keine oder höchstens eine. Dann unterläge zumindest immer ein großer Teil der Abgeordneten keinem faktischen Zwang.
Viele Grüße, dos
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Diese Auskunft stellt keine Rechtsberatung dar. Sie ersetzt nicht die Beratung durch einen Anwalt. Eine Gewähr für die Richtigkeit besteht nicht.
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gloriaD
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Anmeldungsdatum: 07.03.2005
Beiträge: 1484

BeitragVerfasst am: 16.11.05, 17:29    Titel: Antworten mit Zitat

Dos hat folgendes geschrieben::
Hallo, gloriaD,
die Diskussion um die Berechtigung des Fraktionszwangs ist alt. Ein echter Fraktionszwang ist verfassungswidrig, Beschlüsse der Fraktionen (und der Parteien erst recht) haben daher nur den Charakter unverbindlicher Empfehlungen (BVerfGE 47, 308 <318>). Daher drohen einem Abgeordneten keine rechtlichen Nachteile, wenn er entsprechend Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG nur seinem Gewissen folgt. Er wird natürlich bei der nächsten Wahl nicht mehr aufgestellt und hat als Einzelbewerber, selbst wenn er Hohmann heißt, keine Chancen. Mein Vorschlag wäre, die Wahlperiode auf 5 Jahre zu verlängern, aber dafür die Wiederwahl zu beschränken - entweder gar keine oder höchstens eine. Dann unterläge zumindest immer ein großer Teil der Abgeordneten keinem faktischen Zwang.
Viele Grüße, dos


Idee Die Diskussion um dieses Thema ist bekannt und wurde hier auch früher schon angesprochen
http://www.recht.de/phpbb/viewtopic.php?t=18036
Pfeil Eine besondere Wendung enthält sie allerdings, wenn Angeordnete sich - komme, was da wolle !!! - ("Das gilt auch für Fragen, die nicht Gegenstand der vereinbarten Politik sind")vertraglich verpflichten, nur so abzustimmen, wie es die Fraktinsführungen oder die Mehrheiten mehrerer Fraktionen beschließen - oder genauer: Wie es die Regierung will.
Pfeil Ist der Koalitionsvertrag damit verfassungswidrig oder evtl. nichtig, weil er auf eine rechtlich unzulässige Rechtsfolge gerichtet ist?
Pfeil Darf ein Verfassungsorgan - oder genauer: Dürfen Mitgleider eines Verfassungsorgans einen Vertrag schließen, der mindestens auf eine verfassungswidrige Folge gerichtet ist, auch wenn er das im Ergebnis nicht leisten kann?
Pfeil Ist ein solcher Vertrag, der mit großem Aufsehen und Theaterdonner vorgestellt wird, evtl. Irreführung der Wähler, weil er - jedenfalls in diesem ja nicht unwesentlichen Punkt - mindestens unwirksam ist?
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gloriaD
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Dos
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Anmeldungsdatum: 18.08.2005
Beiträge: 1520

BeitragVerfasst am: 16.11.05, 17:37    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

der Vertrag wird zwischen den drei Koaltionsparteien geschlossen. Die Abgeordneten sind daran nicht beteiligt, sie verpflichten sich zu nichts. Würden sie sich irgendwem gegenüber verpflcihten, wäre diese Vereinbarung nichtig.

Ein Koalitionsvertrag ist sowieso kein Vertrag im Rechtssinne, er wird als rechtliches Nullum, als unverbindlich betrachtet, auch zwischen den Parteien, die ihn schließen. Die CDU kann also keinen Schadensersatz von der SPD fordern, wenn einer ihrer Abgeordneten "falsch" abstimmt Smilie. Die einzige "Sanktion" für einen "Vertragsbruch" des Partners ist die Aufkündigung der Koaltion.

Auch die in dem Koaltionsvertrag angesprochene Vereinbarung der Fraktionen ist ein Nullum (Fraktionen sind ohnehin keine rechtsfähigen Vereinigungen). Kein Abgeordneter kann auf die ihm zustehenden Reche (Anfragen, Gesetzesinitiativen) verzichten, keiner darf sanktioniert werden, wenn er sie gebraucht.

Viele Grüße, dos
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gloriaD
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Anmeldungsdatum: 07.03.2005
Beiträge: 1484

BeitragVerfasst am: 16.11.05, 19:49    Titel: Antworten mit Zitat

Dos hat folgendes geschrieben::
Hallo,

der Vertrag wird zwischen den drei Koaltionsparteien geschlossen. Die Abgeordneten sind daran nicht beteiligt, sie verpflichten sich zu nichts. Würden sie sich irgendwem gegenüber verpflcihten, wäre diese Vereinbarung nichtig.

Pfeil Das ist nur z.T. richtig. Mindestens auf Seiten der CDU trägt der Vertrag die Unterschrift der Abgeordneten (und vermutlich Bundeskanzlerin) Merkel. Wer sonst noch unterschrieben hat, wird man herausfinden können.

Dos hat folgendes geschrieben::
Ein Koalitionsvertrag ist sowieso kein Vertrag im Rechtssinne, er wird als rechtliches Nullum, als unverbindlich betrachtet, auch zwischen den Parteien, die ihn schließen. "

Pfeil Ein rechtliches Nullum? Wer vertritt das?
Der Umstand, dass der Vertrag nicht einklagbar ist und kein Schadensersatz bei Vertragsverletzung verlangt werden kann, macht die Vereinbarung nicht eo ipso rechtlich zum Nullum.
Dos hat folgendes geschrieben::
Auch die in dem Koaltionsvertrag angesprochene Vereinbarung der Fraktionen ist ein Nullum (Fraktionen sind ohnehin keine rechtsfähigen Vereinigungen). Kein Abgeordneter kann auf die ihm zustehenden Reche (Anfragen, Gesetzesinitiativen) verzichten, keiner darf sanktioniert werden, wenn er sie gebraucht.

Frage Also alles nur heiße Luft? Wohl kaum.
Pfeil Nehmen wir einmal an - was ziemlich wahrscheinlich ist -, die neue Kanzlerin will 2008 gegen den Willen der SPD - was ziemlich unwahrscheinlich ist - Neuwahlen. Sie würde ganz sicher dieses Begehren auf einen Bruch des Koalitionsvertrages durch den anderen Partner insoweit stützen können, als sie diesen "Vertragsbruch" als Indiz für eine mangelnde Mehrheit nimmt.
Oder würde das BVerfG etwa sagen: Das ist ein rechtliches Nullum und daher ohne Bedeutung?
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gloriaD


Zuletzt bearbeitet von gloriaD am 17.11.05, 15:27, insgesamt 2-mal bearbeitet
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Dos
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Anmeldungsdatum: 18.08.2005
Beiträge: 1520

BeitragVerfasst am: 17.11.05, 09:18    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

ich hab ad hoc nur den Jarass/Pieroth hier, Art. 65 Rn. 3, betrifft also (nur) den BKanzler, nicht die Abgeordneten. Anscheinend ist die Frage nach der Rechtsnatur von Koalitionsvereinbarungen doch strittig, aber jedenfalls nach der Zitatenliste hier wird überwiegend Unverbindlichkeit angenommen:
Jarass/Pieroth, a.a.O. hat folgendes geschrieben::
Er kann hierbei durch die politischen Parteien nicht gebunden werden; unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung von Koalitionsvereinbarungen als (bürgerlich-; verwaltungs- oder verfassungsrechtliche) Verträge oder bloße politische Absprachen ohne rechtliche Verbindlichkeit (vgl. BGHZ 29, 187/192; Schenke, BK 21 zu Art. 63; Büge/Pauly, JuS 87, 646 f.; Herzog MD 9 ff zu Art. 63) beschränken sie jedenfalls nicht die Kompetenz des Bundeskanzlers.

Die dort zitierte BGH-Entscheidung betrifft tatsächlich eine zivilgerichtliche Klage gegen den damaligen Bundeskanzler wegen Bruchs einer Koalitionsvereinbarung, der BGH hat sich elegant aus der Affäre gezogen und die Sache an die Verwaltungsgerichte verwiesen Smilie. Was dort draus geworden ist, hab ich so schnell nicht ermitteln können.
Gruß, dos
_________________
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gloriaD
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Anmeldungsdatum: 07.03.2005
Beiträge: 1484

BeitragVerfasst am: 18.11.05, 18:57    Titel: Antworten mit Zitat

Dos hat folgendes geschrieben::
Hallo,

ich hab ad hoc nur den Jarass/Pieroth hier, Art. 65 Rn. 3, betrifft also (nur) den BKanzler, nicht die Abgeordneten. Anscheinend ist die Frage nach der Rechtsnatur von Koalitionsvereinbarungen doch strittig, aber jedenfalls nach der Zitatenliste hier wird überwiegend Unverbindlichkeit angenommen:
Jarass/Pieroth, a.a.O. hat folgendes geschrieben::
Er kann hierbei durch die politischen Parteien nicht gebunden werden; unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung von Koalitionsvereinbarungen als (bürgerlich-; verwaltungs- oder verfassungsrechtliche) Verträge oder bloße politische Absprachen ohne rechtliche Verbindlichkeit (vgl. BGHZ 29, 187/192; Schenke, BK 21 zu Art. 63; Büge/Pauly, JuS 87, 646 f.; Herzog MD 9 ff zu Art. 63) beschränken sie jedenfalls nicht die Kompetenz des Bundeskanzlers.

Die dort zitierte BGH-Entscheidung betrifft tatsächlich eine zivilgerichtliche Klage gegen den damaligen Bundeskanzler wegen Bruchs einer Koalitionsvereinbarung, der BGH hat sich elegant aus der Affäre gezogen und die Sache an die Verwaltungsgerichte verwiesen Smilie. Was dort draus geworden ist, hab ich so schnell nicht ermitteln können.
Gruß, dos



Hallo Dos,
neben der interessanten Frage der rechtlichen Einordnung scheint mir doch sehr aufschlußreich zu sein, wie von den Parteien gegenüber den Bürgern mit einem derartigen Papier umgegangen wird.
Gerade wenn man davon ausgeht, dass es keine Verbindlichkeit über die rein politische Absprache hinaus, die jederzeit eingehalten oder auch verletzt oder auch informell geändert werden kann, entfaltet, also nicht einmal die Qualität des Rütli-Schwurs hat, dann stellt sich doch um so mehr die Frage, warum das dann nicht auch so in der Öffentlichkeit und den Medien dargestellt wird.
Pfeil Eine These wäre die der fortschreitenden Entmündigung der Wähler, weil man in den politischen Parteien wohl glaubt, die Bürger brauchten solche Popanze, um nicht vom rechten Glauben abzufallen, könnten die einfache Wahrheit nicht ertragen, dass es da eben wechselseitige Absichtserklärungen mit beliebiger Halbwertszeit gibt und nicht mehr.
Pfeil Eine andere These wäre die, dass die Akteure selbst sich eine leuchtende Fahne basteln müssen, hinter der sie dann herlaufen, um nicht selbst im dunklen Wald mit dem Pfeifen anfangen zu müssen.
Pfeil Eine dritte und evtl. gar nicht so abwegige These wäre die, dass damit nach außen der Eindruck vorgetäuscht werden soll, mit dem Diskutieren und Fordern sei es nun am Ende, weil der Vertrag ja nun geschlossen sei. Also: Klappe halten, jetzt wird nur noch vollzogen.
Pfeil Und schließlich: Da keine Seite der anderen traut und jede davon ausgeht, dass die jeweils andere Seite die erstbeste Gelegenheit nutzen wird, die Kompromißlinie zu ihren Gunsten umzuinterpretieren und zu verschieben, wird ein Ritual veranstaltet, das dann die Rechtfertigung und emotionale Basis geben soll, in diesem Fall zu behaupten, der Gegner, der solches unternimmt, sei ein Schuft, der die heiligen Güter der Nation beschmutzt.
Pfeil Oder ist es eben einfach ein Teil der Polit-Schow?

M.f.G.
_________________
gloriaD
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Servicer
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Anmeldungsdatum: 11.01.2005
Beiträge: 1255

BeitragVerfasst am: 19.11.05, 01:18    Titel: Antworten mit Zitat

gloriaD hat folgendes geschrieben::

Pfeil Oder ist es eben einfach ein Teil der Polit-Schow?



ja genau wie ihre beiträge hier, allerdings ohne c
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austriacus
noch neu hier


Anmeldungsdatum: 19.11.2005
Beiträge: 2

BeitragVerfasst am: 19.11.05, 08:44    Titel: fraktionszwang Antworten mit Zitat

wahrscheinlich ist es nur ein schwacher trost - aber wir in österreich haben dasselbe problem mit dem bei uns "klubzwang" genannten fraktionszwang. die damit verbundenen rechtlichen fragen werden auf die gleiche art gelöst, wie das teilweise die vorredner angesprochen haben.

generell scheint es so zu sein - müßte man aber wohl politikwissenschaftlich untersuchen - dass man in nationen, die gesamtgeschichtlich betrachtet noch junge demokratien sind, offenbar nicht ohne verbote von "denkautonomie" für parlamentarier auskommt. zumindest für österreich ist der grund leicht erklärt: nach 700 jahren obrigkeitshörigem habsburgerstaat ist da nichts anderes zu erwarten. bei uns wird´s noch lange dauern, bis der kaiser im erbgut nicht mehr nachweisbar ist.
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Dos
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FDR-Mitglied


Anmeldungsdatum: 18.08.2005
Beiträge: 1520

BeitragVerfasst am: 21.11.05, 08:57    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

ich glaub schon, dass Koalitionsvereinbarungen etwas mit Polit-Show Smilie zu tun haben. Denn was spräche eigentlich dagegen, dass sich mehrere Parteien auf die Wahl einer Regierung einigen, aber dann in Sachfragen von Fall zu Fall Mehrheiten suchen? Hierbei könnte man auch den Fraktionszwang aufheben, sodass nicht nur die Fraktionen im Ganzen nicht an Koalitionsvereinbarungen gebunden sind, sonder auch der einzelne Abgeordnete nicht an die Vorgaben seiner Partei oder Fraktion.

Es ist sowieso vermessen, so zu tun, als könne man die notwendige Gesetzgebung der nächsten 4 Jahre schon jetzt auch nur in Grundzügen abschätzen. Und die wirklichen Probleme (gKV) sind ja eh außen vor gelassen worden.

austriacus' posting macht nachdenklich. Ich glaube aber, dass Koalitionsvereinbarungen und - noch viel mehr - der Fraktionszwang genau den gegenteiligen Sinn haben: Abgeordnete sollen nicht vor obrigkeitshörigem Denken bewahrt werden, sondern im Gegenteil vor zuviel Autonomie und Eigensinn. In gewisser Weise soll auch der Fraktionszwang der Stabilität der Bundesrepublik dienen. Auch dies ist eine Erfahrung der Weimarer Zeit. Ich weiß zwar nicht, ob dort einzelne Abgeordnete in größerem Maße gegen die Ansicht ihrer Partei(mehrheit) gestimmt haben, aber stabile Mehrheiten hat es in den mittleren und letzten Reichstagen ja wirklich nicht gegeben...

Gruß, dos
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Michael A. Schaffrath
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Anmeldungsdatum: 25.09.2004
Beiträge: 15339
Wohnort: Rom

BeitragVerfasst am: 21.11.05, 17:59    Titel: Antworten mit Zitat

Die Frage, ob formalrechtlich ein Vertrag vorliegt oder nicht, ist für die eingangs gestellte Frage doch irrelevant. Dos hat doch sehr schön erläutert:

Dos hat folgendes geschrieben::
Die Abgeordneten sind daran nicht beteiligt, sie verpflichten sich zu nichts. Würden sie sich irgendwem gegenüber verpflcihten, wäre diese Vereinbarung nichtig.


Das ist wie mit jedem "sittenwidrigen" Vertrag oder jeden gegen §§307 ff. BGB verstoßenden AGB auch.

Die Grenze zwischen "rechtlich forcierbarem Vertrag" und "politischer Absichtserklärung" ist in der Politik fließend.

Einem ähnlichen Irrtum erliegen ja auch die rechtsradikalen "Reichstheoretiker", die immer argumentieren, die Formulierung "Art. 23 GG wird aufgehoben" aus dem 2+4-Vertrag sei bereits eine Aufhebung und nicht - wie es in Wahrheit der Fall ist - die bloße Absichtserklärung einer Aufhebung (denn kein Vertreter des Staates kann eine verfassungsändernde Entscheidung des Bundestages im Alleingang zusichern bzw. treffen).
_________________
DefPimp: Mein Gott
Biber: Nö, war nur M.A.S. Aber hier im Forum ist das schon ziemlich dicht dran.

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Karsten11
FDR-Moderator


Anmeldungsdatum: 17.06.2005
Beiträge: 3169

BeitragVerfasst am: 22.11.05, 12:31    Titel: Antworten mit Zitat

Hallo,

ich finde interessant, wie durchgehend negativ das Instrument eines Koalitionsvertrags hier diskutiert wird. Ich halte dieses Instrument für unverzichtbar in einer funktionierenden Demokratie.

Auf Ebene der Parteien gibt es Parteitage, die Programme beschliessen. Sebstverständlich haben wir auch hier das Spannungsfeld zwischen den freien Abgeordneten und der Vorgabe durch die Programatik der Partei. Doch woran will ich mich als Wähler halten, wenn nicht an die Programme der Parteien (und die Erfahrung, wie diese in der Vergangenheit mit diesen umgegangen sind).

Nach der Wahl ist es sinnvoll eine Koalition zu schliessen, da niemand über eine absolute Mehrheit verfügt. Auch eine Koalition muss über eine Programmatik sowie über Entscheidungsregeln verfügen. Diese werden im Koalitionsvertrag festgehalten.

Dieses Papier ermöglicht mir als Wähler, zum einen die Koalition daran
- zu messen, wo sie gemessen an den Programmen der beteiligten Parteien steht und
- am Ende der Wahlperiode zu messen, inwieweit die selbst gesetzten Ziele erreicht und die beschriebenen Maßnahmen umgesetzt werden

Der Koalitionsvertrag schaft daher unverzichtbare Transparenz und ist weit davon entfernt nur "Show" zu sein.

[quote="Dos"]Die Abgeordneten sind daran nicht beteiligt, sie verpflichten sich zu nichts. quote]

Das ist natürlich falsch. Sowohl die beteiligten Fraktionen als auch die Parteitage der beteiligten Parteien stimmen über den Vertrag ab. Ohne die freiwillige Unterwerfung der Abgeordneten unter diese Vereinbarungen funktioniert der Vertrag sicher nicht.
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gloriaD
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Anmeldungsdatum: 07.03.2005
Beiträge: 1484

BeitragVerfasst am: 22.11.05, 15:50    Titel: Antworten mit Zitat

Karsten11 hat folgendes geschrieben::
Hallo,
ich finde interessant, wie durchgehend negativ das Instrument eines Koalitionsvertrags hier diskutiert wird. Ich halte dieses Instrument für unverzichtbar in einer funktionierenden Demokratie.

Frage Wer hat das bestritten? Die Frage war, wie sich ein solcher "Vertrag" zu der Art. 38 GG verhält!

Karsten11 hat folgendes geschrieben::
Auf Ebene der Parteien gibt es Parteitage, die Programme beschliessen. Sebstverständlich haben wir auch hier das Spannungsfeld zwischen den freien Abgeordneten und der Vorgabe durch die Programatik der Partei. Doch woran will ich mich als Wähler halten, wenn nicht an die Programme der Parteien (und die Erfahrung, wie diese in der Vergangenheit mit diesen umgegangen sind).

Frage Was bedeutet denn diese Feststellung für das "Spannungsfeld"?

Karsten11 hat folgendes geschrieben::
Nach der Wahl ist es sinnvoll eine Koalition zu schliessen, da niemand über eine absolute Mehrheit verfügt. Auch eine Koalition muss über eine Programmatik sowie über Entscheidungsregeln verfügen. Diese werden im Koalitionsvertrag festgehalten.Dieses Papier ermöglicht mir als Wähler, zum einen die Koalition daran
- zu messen, wo sie gemessen an den Programmen der beteiligten Parteien steht und
- am Ende der Wahlperiode zu messen, inwieweit die selbst gesetzten Ziele erreicht und die beschriebenen Maßnahmen umgesetzt werden

Pfeil Die Frage bleibt doch, warum dieses Protokoll über die getroffenen Abreden dann als "Vertrag" bezeichnet und mit viel Theaterdonner als solcher "abgeschlossen" wird.

Karsten11 hat folgendes geschrieben::
Dos hat folgendes geschrieben::
Die Abgeordneten sind daran nicht beteiligt, sie verpflichten sich zu nichts.

Das ist natürlich falsch. Sowohl die beteiligten Fraktionen als auch die Parteitage der beteiligten Parteien stimmen über den Vertrag ab. Ohne die freiwillige Unterwerfung der Abgeordneten unter diese Vereinbarungen funktioniert der Vertrag sicher nicht.

Pfeil Das kann man so sehen. Es stellt sich aber gerade unter dieser Annahme verschärft die Frage nach der Vereinbarkeit mit Art. 38 I GG. Und die kann man nicht einfach mit dem Hinweis übergehen, dass dann "der Vertrag nicht funktioniert".
Es würde ja vieles besser "funktionieren", wenn es diese Verfassung nicht gäbe .... Winken
_________________
gloriaD
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Dos
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FDR-Mitglied


Anmeldungsdatum: 18.08.2005
Beiträge: 1520

BeitragVerfasst am: 22.11.05, 17:58    Titel: Antworten mit Zitat

Hi,
dass eine Koaltionsvereinbarung nicht funktioniert, sondern die Koalition auseinander bricht, wenn sich ihr die Abgeordneten einer Partei nicht "freiwillig unterwerfen" (was für ein Wortspiel Smilie ), ist klar. Aber rechtlich bindend ist die Vereinbarung nicht. Zum einen ist sie es überhaupt nicht (s.o.), zum anderen jedenfalls nicht für die Abgeordneten. Geschlossen wird sie allein zwischen den Parteien. Deshalb wird sie ja auch von den Parteivorsitzenden unterzeichnet. Wenn jeder Abgeordnete einbezogen werden sollte (mehrseitiger Vertrag), dann müsste mit jedem einzelnen verhandelt werden und jeder einzelne müsste unterschreiben, und zwar im eigenen Namen und nicht als Vertreter seiner Partei. Die Parteien können ihre Abgeordneten durch die Vereinbarung nicht rechtlich binden, das wäre ein Vertrag zu Lasten Dritter.
Gruß, dos
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